Elfie Semotan im Interview

Elfie Semotan ist eine der bedeutendsten (Mode-)Fotografinnen der Welt:

Elfie Semotan im Gespräch mit dem Dorotheum myART MAGAZINE über Selfies, Smileys, Stillleben und den kreativen Wert von Langeweile.

Dorotheum myART MAGAZINE: Zu den derzeit omnipräsenten Selfies ist das Titelbild unseres Magazins ein besonderer Kontrapunkt. Sie wirken souverän und haben den Drücker in der Hand. Was zeichnet ein Bild von Elfie Semotan aus, wenn es nicht gerade ein Selbstporträt ist?

Elfie Semotan: Ich glaube, es gibt eine Grundrichtung, die man nicht vollständig verlässt, selbst wenn man sich weiterentwickelt. Natürlich kommt es immer auf das Genre an. Dass meine Bilder nicht sehr vordergründig sind, das kann man sagen.

Oder, wie eine Jugendfreundin treffend formulierte: „Du fotografierst Dinge, die man nicht sieht.“ Scheinbar Unnützes, Nebensächlichkeiten.

… oder Dinge, die man noch nicht sieht. Menschen lernen ja auch, laufend andere Dinge zu sehen, Neues, das sie bis jetzt noch nicht gesehen haben. Das ist ein allgemeiner Lernprozess, dass man auf andere Dinge achtet.

Wie zum Beispiel auf wild wuchernde Vegetation – wie jüngst bei Ihrer Gemeinschaftsausstellung mit Michel Würthle, Künstler und legendärer Besitzer der Paris Bar in Berlin. Sie sind im positiven Sinne unberechenbar: Da hätte man zu den ironischen, vor Männlichkeit strotzenden Cowboy- und Westernzeichnungen vielleicht die wunderbare Serie „Male Gestures“ erwartet. Shalom im Anzug in Männerposen. Stattdessen: Gestrüpp!

Ich konnte und wollte zu den von Personen und Texten bevölkerten Zeichnungen nicht noch etwas setzen. Es ist wichtig zu wissen, dass meine Fotos in den Catskills, einem früheren Indianergebiet, gemacht wurden.

Natur und Stillleben sind größere Themen in den vergangenen Jahren …

Diese Themen gibt es bei mir schon ewig. Landschaften, wilde Vegetation, das waren überhaupt meine ersten Fotos. Dass sie jetzt wieder kommen, hat mit meiner Entwicklung, aber auch mit der Fotografie allgemein zu tun. Wenn man sieht, was mit der Fotografie passiert – mit den Selfies, Porträts, mit der Überfülle –, dann ist es fast normal, dass Stillleben im Allgemeinen verstärkt kommen. Sie sind reflektiert und lassen zugleich auch mehr ungestörte Reflexion zu.

Elfie Semotan, Asphalt
Elfie Semotan, aus der Serie ASPHALT, ohne Titel, Burgenland 2007

Einerseits ist in Ihren Bildern vieles konstruiert, andererseits spielt der Zufall eine Rolle, wie etwa in der Serie der Asphaltbilder.

Ich wollte die Straße im Burgenland dokumentieren, die zu meinem Haus geführt hat. Sie wurde immer wieder geflickt, alle Beschriftungen wurden zerstückelt, dann wurde wieder etwas dazugepinselt. Diese Straße allein hat schon die Geschichte vieler Jahre gezeigt. Es sind wahnsinnig sentimentale Fotos, obwohl sie recht trocken aussehen. Im Prinzip ist ein bestimmter Ausschnitt nicht wichtig, aber im Detail dann klarerweise schon.

 

Andererseits haben Sie immer wieder mit Superstars gearbeitet. Wer blieb Ihnen am stärksten in Erinnerung?

Benicio del Toro. Er kam ganz locker ohne Agenten ins Studio und hatte offensichtlich keine Ambitionen, besonders toll auszusehen. Er sah auf seine spezielle Art immer ausgezeichnet aus, diese Aura des Uneitlen macht wahrscheinlich einen Teil seiner Attraktivität aus.

 

Benicio del Toro
Elfie Semotan, Benicio del Toro, Los Angeles, 2000

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte?

Bilder werden unterschiedlich interpretiert. Wenn ich Ihnen aber sagen will, was ich sehe, muss ich doch wieder auf Worte zurückgreifen. Ich würde die Sprache niemals zugunsten von Bildern aufgeben. Die Leute erklären mir stets: „Diese Smileys, die sind ganz wichtig!“ Ich will das nicht. Es ist mir zu einfach und zu wenig persönlich, ein Gesicht dahinzusetzen – ich möchte mich genauer ausdrücken.

Sie haben außer für die Werbung kaum an Filmen gearbeitet. Gäbe es hier zu viel Abhängigkeit von anderen?

Man ist immer abhängig von anderen. Mir gefiel Sofia Coppolas Antwort in einem Interview zu ihrem Film „Lost in Translation“. Sie hatte nie viel Geld und ging mit nur zwei, drei Leuten zum Set. In dieser Situation war ich immer wieder. Das bringt eine besondere Intensität oder Dichte. Es ist nicht gut, alles zur Verfügung zu haben – manchmal killt das den ganzen Spirit, die vielen Möglichkeiten, die ein Mensch hätte, wenn er sie in dieser Situation nicht wirklich ausspielen kann.

Eine Figur in Coppolas Film sagt sinngemäß auch, dass alle Mädchen davon träumten, Fotografin zu werden – und schlussendlich nur Fotos ihrer eigenen Füße zeigten …

Sehr gut beobachtet! Eine berühmte Fotografin zu sein scheint leicht, weil jetzt alles digital ist. Ich brauche nur meine Kamera auf Sie zu richten und schon habe ich ein ganz tolles Foto, das mein Leben ändern wird. Unter den Millionen Fotos gibt es auch etwas Unverhofftes – ich glaube nur nicht, dass man auf dieses Unverhoffte warten, sondern dass man einen persönlichen Ausdruck finden soll. Das entwickelt man, das dauert.

Früher diente die Fotografie auch zum Dokumentieren der Wirklichkeit. Nach Manipulationen und Photoshop: Welchen Stellenwert besitzt die Fotografie heute noch?

Den Wahrheitsanspruch hat sie nicht mehr. Es ist auch das, was Trump ausnützt, der sagt, dass alles manipuliert sei. Dann sollte man zurückfragen: Warum sollte ich glauben, was Sie mir sagen? Man muss sich ein paar Leute und Institutionen aussuchen, denen man vertraut.

Gibt es für Ihre Ästhetik besondere Vorbilder und Einflüsse? Ich denke etwa an Ihre zeitgenössische Lukrezia, die sich mit der Malerspachtel erstechen will …

Rembrandt oder Caravaggio haben immer schon Porträts gemalt, Situationen mit vielen Leuten, die lebendiger sind als jedes Foto, das irgendwohin geschossen wurde. Fantastisch! Jede Person hat den richtigen Ausdruck, das perfekte Licht. Das ist mit Fotografie nicht zu erreichen. Diesen besonderen Moment einer Situation, die die Maler immer schon hatten – darum beneide ich sie wahnsinnig.

Sammeln Sie Kunst?

Als Kunstsammlerin würde ich mich nicht bezeichnen, aber ich bin wahrscheinlich eine. Ich habe Werke von Menschen, die ich persönlich kenne und schätze, wie etwa Martha Jungwirth und Tobias Pils, aber auch von Künstlern, die mir rein über ihre Werke gefallen. Das gehört dazu, finde ich – die Liebe zu schönen oder eigenartigen Dingen. Ich mache es nicht systematisch, ein bisschen zufällig. Aber ich verfolge natürlich schon, was vor sich geht.

Da werden Sie bei der Preisentwicklung des Œeuvre Ihres Mannes Martin Kippenberger wohl schon öfter gestaunt haben … Sind diese hohen Preise befremdlich?

Für Martin wären diese Preise keine Überraschung, er war von der Qualität seiner Arbeiten total überzeugt – und ich auch. Aber wir haben nicht über Preisentwicklungen gesprochen.

Kurt Kocherscheidt, Martin Kippenberger, Michel Würthle: Ihr engster Kreis bestand zeitlebens aus Künstlern. Auch Helmut Lang, der von der Mode zur Bildhauerei wechselte, ist ja schlussendlich einer geworden.

Er war es schon immer!

Also lieber die neuen als die Alten Meister?

Alte Meister sehe ich lieber im Museum. Ich habe kürzlich im Kunsthistorischen Museum Aufnahmen für ein Wiener Mode-Unternehmen gemacht. Die Besitzer sind Freunde, ich habe seit Jahren beim Katalog freie Hand. Die Mode passte perfekt zu den Alten Meistern. Ich habe meine Beobachtungen von Museumsbesuchern in die Fotos integriert: Sie zeigen Models, die Selfies mit den Kunstwerken machen.

„Ich und Rubens“, „Ich und Brueghel“,
tausendfach einzigartig. Gibt es einen Gegenpol?

Die Langeweile! Ich vermisse sie. Man ist gezwungen, über etwas nachzudenken. Die langweiligen Momente, die ich in meiner Kindheit hatte, haben sich mir eingebrannt – mit allen Geräuschen, der Landschaft, der flirrenden Hitze. Ich finde es gut. Man wird sich seiner selbst und seiner Bedürfnisse bewusst, und man versucht, etwas zu unternehmen, ich jedenfalls.

Langeweile als Motor der Kreativität?

Absolut. Ich bin im Bett gelegen und habe die Muster an der Wand studiert, das waren oft die unglaublichsten Dinge, die ich da gesehen habe; und auch die Falten der Bettwäsche, da konnte ich mir stundenlang etwas vorstellen. Ich denke, dass das gut ist, weil die Dinge keine vorgefertigte Form haben. Die muss man ihnen dann irgendwann selbst geben – während man bei ganz vielem, mit dem man sich beschäftigt, schon die vorgefertigte Form hat.

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