Lot Nr. 86


Kota (oder Bakota), Gabun, Republik Kongo: Ein seltener Reliquien-Wächter ‘Mbulu Ngulu’, Typ: Ndumu oder Obamba. Vor oder um 1920.


Kota (oder Bakota), Gabun, Republik Kongo: Ein seltener Reliquien-Wächter ‘Mbulu Ngulu’, Typ: Ndumu oder Obamba. Vor oder um 1920. - Stammeskunst / Tribal-Art; Afrika

Die Kota (oder Bakota) leben im Osten und Südosten von Gabun, ein kleinerer Teil auch grenzübergreifend im Kongo. Die ursprüngliche Religion der Kota war ein ausgeprägter Ahnenkult: Früher wurden Verstorbene im Wald ausgelegt, später in der Erde bestattet. Die Schädel von bedeutenden Klan-Gründern und Häuptlingen wurden nach einiger Zeit wieder ausgegraben und, in einer Art ‘Sekundär-Bestattung’, mit anderen Erinnerungs-Stücken, in große Körbe gelegt. Diese Körbe wurden verschlossen und in eigenen Hütten, ‘heiligen Schreinen’, aufbewahrt. Wurde das Dorf verlegt, kamen die Körbe mit den Knochen der Ahnen mit und im neuen Dorf wurde für sie ein neuer, eigener ‘Schrein’ errichtet.

Die Reliquiar-Wächter
Auf jedem dieser Körbe mit den Ahnen-Knochen ‘saß’ ein Reliquiar-Wächter, der ‘Mbulu Ngulu’ (‘Reliquien-Korb mit Figur’). Sie waren aus Holz geschnitzt und mit Messing-Platten oder Kupfer-Lamellen beschlagen. Die Figuren ragten oben aus jedem Korb. Ihre unteren Rauten reichten in den Behälter hinein und wurden dort befestigt. Nur für wichtige Zeremonien des ganzen Dorfes wurden die Körbe hervorgeholt, geöffnet und ihr Inhalt, die Schädel der Ahnen, allgemein präsentiert, erklärt und rituell verehrt. So nahmen die verehrten Ahnen am Leben ihrer Nachkommen teil. Man nimmt allgemein an, dass der Ahnen-Kult mit Körben und den berühmten Reliquien-Wächtern bei den Kota im 18. Jahrhundert entstanden und um 1940 erloschen ist.

Nach Dr. Louis Perrois (F), einem der besten Kenner der Kunst aus Gabun, sind ‘viele der Reliquiar-Figuren dieses Typs während der 1920er und 1930er Jahre gesammelt worden. Denn man weiß, dass die Rituale des Ahnenkultes bei den Kota nur bis um 1940 aktiv praktiziert wurden’.

Kota-Figuren und moderne Kunst
Seit gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Reliquien-Wächter-Figuren nach Europa kamen, gehörten sie zu den begehrtesten Sammlerstücken aus dem Bereich afrikanischer Kunst. Bis heute! Besonders die Künstler der ‘Klassischen Moderne’, im Paris des frühen 20. Jahrhunderts, waren fasziniert von der radikalen Abstraktion des menschlichen Körpers, die sich in den ‘Mbulu Ngulu’ der Kota manifestierte. Ohne die Kenntnis dieser Reliquiare der Kota und anderer Objekte afrikanischer Kunst wäre die Entwicklung des ‘Kubismus’ in der Kunst Europas nicht denkbar: ‘Superstar’ Pablo Picasso hatte in seiner umfangreichen Sammlung sogenannter ‘Primitiver Kunst’ natürlich auch eine schöne, große Kota-Figur. Der Bildhauer Alberto Giacometti hatte eine. Und für den kubistischen Maler und Picasso-Freund Juan Gris waren diese Reliquiar-Skulpturen derart wichtige, formale ‘Objekte der Begierde’, dass er sich 1922 selbst einen ‘Mbulu Ngulu’ aus braunem Karton bastelte.
Der vorliegende, große und typische Reliquien-Wächter stammt wohl aus dem Süden des Siedlungs-Gebietes der Kota (Oberlauf des Ogowe-Flusses) und ist stilistisch den Unter-Gruppen der Kota-Ndumu oder Kota-Obamba zuzuordnen. Sein ‘Körper’ ist aus einem Stück, samt seiner unteren Raute aus hartem, braunem Holz geschnitzt und schwarz-braun gefärbt. Das länglich-ovale Gesicht ist aus der zweidimensionalen Fläche der seitlichen ‘Wangen’ und der ‘Frisur’ oben etwas nach vorne hervorgehoben (ca. 3 bis 4 cm) und leicht konkav, nach innen gewölbt. Dieses Gesicht ist kreuzweise durch zwei flache, gelbe Bänder aus Messing-Blech in vier Sektoren geteilt. Zentral sitzt hier eine schmale Messing-Nase, mit dreieckigem Querschnitt, flankiert von den beiden Halbkugeln der Messing-Augen, mit kleinen, kugeligen Pupillen aus Kupfer.
Der ‘Mund’ besteht aus zwei V-förmigen Linien aus getriebenen Punkten.
Die vier äußeren Sektoren des Gesichtes sind mit roten, gehämmerten Kupfer-Lamellen in Form eines ‘Sonnenstrahlen-Motivs’ beschlagen.
Der flache, zweidimensionale Teil des Kopfes, seine seitlichen ‘Wangen’ und die, oben bogenförmig nach beiden Seiten auskragende ‘Frisur’, sind nur an ihrer Vorderseite mit Messing-Blech beschlagen und mit getriebenen Linien, Rauten und einem Zick-Zack-Band (ganz oben) aufwändig dekoriert. Der Hals, sowie die beiden runden, schräg nach außen angesetzten Fortsätze unter den ‘Wangen’ sind ganz mit Messing-Blech umfangen. Hier ist das Blech ebenfalls rautenförmig und linear getrieben. Alle Kupfer-Stifte, mit denen die Teile aus Messing-Blech an dem darunter liegenden Holz-Körper der Figur befestigt sind, wurden lokal hergestellt (gehämmert. Keine Import-Nägel!).
Die charakteristische, kräftig-kantige, untere Raute ist leicht geschwungen und ganz unten mit einem runden, flachen, vertikal gelochten ‘Knopf’ abgeschlossen. Die Raute und die Rückseite des Kopfes sind ohne Metall-Beschlag geblieben. Auf der flachen Rückseite des Kopfes befindet sich ein erhabenes, rautenförmiges Relief.
Ein Stück, mit einer eindrucksvollen Glanz-Patina durch längeren Gebrauch und nur mit kleinen, altersbedingten Schäden: etwas Farb-Abrieb im Bereich der Kanten, einige zarte Risse und minimale, alte Ausbrüche an der Raute unten, sowie kleine, oberflächliche Löcher, auf der glatten Rückseite (Spuren von altem Insektenfraß?). Ein kleines, altes Sammlungs-Etikett auf der Rückseite, beschriftet mit ‘D.’. Insgesamt ein altes Objekt, in gutem Zustand! H: 53 cm; B: 27 cm.
Vor oder um 1920.

Provenienz:
Nach Angabe des Einbringers von seinem Vater in den Jahren zwischen 1950 und 1955 in Paris erworben. jetzt: Österreichische Privatsammlung Lit. ‘Chefs-d’oeuvres d’Afrique, dans les collections du Musée Dapper’, Musée Dapper Paris, Abb. S. 38; ‘Ancestral Art of Gabon’ von Louis Perrois, Farb-Abb. 5; ‘L’Art Kota’ von Alain und Francoise Chaffin, Abb. 84, 85, 128, 129, 130, 131, 132, 134, 135, 136, 137, 179, 188, 190, 192, 193, 194, 199; ‘Les Souffle des Esprits. Art sacré du bassin de l’Ogooué’ von Pierre Redouin, Abb. S. 42, 205, 209, 210; ‘Ancetres Kota’, Katalog Bernard Dulon, Texte von Louis Perrois, Farb-Abb. 8, 9; ‘Tribal Art Magazin’, Sonderheft ‘Kota. New light’, Winter 2015; u. v. a.

Experte: Prof. Erwin Melchardt Prof. Erwin Melchardt
+43-1-515 60-465

erwin.melchardt@dorotheum.at

09.06.2016 - 17:00

Erzielter Preis: **
EUR 10.625,-
Rufpreis:
EUR 7.000,-

Kota (oder Bakota), Gabun, Republik Kongo: Ein seltener Reliquien-Wächter ‘Mbulu Ngulu’, Typ: Ndumu oder Obamba. Vor oder um 1920.


Die Kota (oder Bakota) leben im Osten und Südosten von Gabun, ein kleinerer Teil auch grenzübergreifend im Kongo. Die ursprüngliche Religion der Kota war ein ausgeprägter Ahnenkult: Früher wurden Verstorbene im Wald ausgelegt, später in der Erde bestattet. Die Schädel von bedeutenden Klan-Gründern und Häuptlingen wurden nach einiger Zeit wieder ausgegraben und, in einer Art ‘Sekundär-Bestattung’, mit anderen Erinnerungs-Stücken, in große Körbe gelegt. Diese Körbe wurden verschlossen und in eigenen Hütten, ‘heiligen Schreinen’, aufbewahrt. Wurde das Dorf verlegt, kamen die Körbe mit den Knochen der Ahnen mit und im neuen Dorf wurde für sie ein neuer, eigener ‘Schrein’ errichtet.

Die Reliquiar-Wächter
Auf jedem dieser Körbe mit den Ahnen-Knochen ‘saß’ ein Reliquiar-Wächter, der ‘Mbulu Ngulu’ (‘Reliquien-Korb mit Figur’). Sie waren aus Holz geschnitzt und mit Messing-Platten oder Kupfer-Lamellen beschlagen. Die Figuren ragten oben aus jedem Korb. Ihre unteren Rauten reichten in den Behälter hinein und wurden dort befestigt. Nur für wichtige Zeremonien des ganzen Dorfes wurden die Körbe hervorgeholt, geöffnet und ihr Inhalt, die Schädel der Ahnen, allgemein präsentiert, erklärt und rituell verehrt. So nahmen die verehrten Ahnen am Leben ihrer Nachkommen teil. Man nimmt allgemein an, dass der Ahnen-Kult mit Körben und den berühmten Reliquien-Wächtern bei den Kota im 18. Jahrhundert entstanden und um 1940 erloschen ist.

Nach Dr. Louis Perrois (F), einem der besten Kenner der Kunst aus Gabun, sind ‘viele der Reliquiar-Figuren dieses Typs während der 1920er und 1930er Jahre gesammelt worden. Denn man weiß, dass die Rituale des Ahnenkultes bei den Kota nur bis um 1940 aktiv praktiziert wurden’.

Kota-Figuren und moderne Kunst
Seit gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Reliquien-Wächter-Figuren nach Europa kamen, gehörten sie zu den begehrtesten Sammlerstücken aus dem Bereich afrikanischer Kunst. Bis heute! Besonders die Künstler der ‘Klassischen Moderne’, im Paris des frühen 20. Jahrhunderts, waren fasziniert von der radikalen Abstraktion des menschlichen Körpers, die sich in den ‘Mbulu Ngulu’ der Kota manifestierte. Ohne die Kenntnis dieser Reliquiare der Kota und anderer Objekte afrikanischer Kunst wäre die Entwicklung des ‘Kubismus’ in der Kunst Europas nicht denkbar: ‘Superstar’ Pablo Picasso hatte in seiner umfangreichen Sammlung sogenannter ‘Primitiver Kunst’ natürlich auch eine schöne, große Kota-Figur. Der Bildhauer Alberto Giacometti hatte eine. Und für den kubistischen Maler und Picasso-Freund Juan Gris waren diese Reliquiar-Skulpturen derart wichtige, formale ‘Objekte der Begierde’, dass er sich 1922 selbst einen ‘Mbulu Ngulu’ aus braunem Karton bastelte.
Der vorliegende, große und typische Reliquien-Wächter stammt wohl aus dem Süden des Siedlungs-Gebietes der Kota (Oberlauf des Ogowe-Flusses) und ist stilistisch den Unter-Gruppen der Kota-Ndumu oder Kota-Obamba zuzuordnen. Sein ‘Körper’ ist aus einem Stück, samt seiner unteren Raute aus hartem, braunem Holz geschnitzt und schwarz-braun gefärbt. Das länglich-ovale Gesicht ist aus der zweidimensionalen Fläche der seitlichen ‘Wangen’ und der ‘Frisur’ oben etwas nach vorne hervorgehoben (ca. 3 bis 4 cm) und leicht konkav, nach innen gewölbt. Dieses Gesicht ist kreuzweise durch zwei flache, gelbe Bänder aus Messing-Blech in vier Sektoren geteilt. Zentral sitzt hier eine schmale Messing-Nase, mit dreieckigem Querschnitt, flankiert von den beiden Halbkugeln der Messing-Augen, mit kleinen, kugeligen Pupillen aus Kupfer.
Der ‘Mund’ besteht aus zwei V-förmigen Linien aus getriebenen Punkten.
Die vier äußeren Sektoren des Gesichtes sind mit roten, gehämmerten Kupfer-Lamellen in Form eines ‘Sonnenstrahlen-Motivs’ beschlagen.
Der flache, zweidimensionale Teil des Kopfes, seine seitlichen ‘Wangen’ und die, oben bogenförmig nach beiden Seiten auskragende ‘Frisur’, sind nur an ihrer Vorderseite mit Messing-Blech beschlagen und mit getriebenen Linien, Rauten und einem Zick-Zack-Band (ganz oben) aufwändig dekoriert. Der Hals, sowie die beiden runden, schräg nach außen angesetzten Fortsätze unter den ‘Wangen’ sind ganz mit Messing-Blech umfangen. Hier ist das Blech ebenfalls rautenförmig und linear getrieben. Alle Kupfer-Stifte, mit denen die Teile aus Messing-Blech an dem darunter liegenden Holz-Körper der Figur befestigt sind, wurden lokal hergestellt (gehämmert. Keine Import-Nägel!).
Die charakteristische, kräftig-kantige, untere Raute ist leicht geschwungen und ganz unten mit einem runden, flachen, vertikal gelochten ‘Knopf’ abgeschlossen. Die Raute und die Rückseite des Kopfes sind ohne Metall-Beschlag geblieben. Auf der flachen Rückseite des Kopfes befindet sich ein erhabenes, rautenförmiges Relief.
Ein Stück, mit einer eindrucksvollen Glanz-Patina durch längeren Gebrauch und nur mit kleinen, altersbedingten Schäden: etwas Farb-Abrieb im Bereich der Kanten, einige zarte Risse und minimale, alte Ausbrüche an der Raute unten, sowie kleine, oberflächliche Löcher, auf der glatten Rückseite (Spuren von altem Insektenfraß?). Ein kleines, altes Sammlungs-Etikett auf der Rückseite, beschriftet mit ‘D.’. Insgesamt ein altes Objekt, in gutem Zustand! H: 53 cm; B: 27 cm.
Vor oder um 1920.

Provenienz:
Nach Angabe des Einbringers von seinem Vater in den Jahren zwischen 1950 und 1955 in Paris erworben. jetzt: Österreichische Privatsammlung Lit. ‘Chefs-d’oeuvres d’Afrique, dans les collections du Musée Dapper’, Musée Dapper Paris, Abb. S. 38; ‘Ancestral Art of Gabon’ von Louis Perrois, Farb-Abb. 5; ‘L’Art Kota’ von Alain und Francoise Chaffin, Abb. 84, 85, 128, 129, 130, 131, 132, 134, 135, 136, 137, 179, 188, 190, 192, 193, 194, 199; ‘Les Souffle des Esprits. Art sacré du bassin de l’Ogooué’ von Pierre Redouin, Abb. S. 42, 205, 209, 210; ‘Ancetres Kota’, Katalog Bernard Dulon, Texte von Louis Perrois, Farb-Abb. 8, 9; ‘Tribal Art Magazin’, Sonderheft ‘Kota. New light’, Winter 2015; u. v. a.

Experte: Prof. Erwin Melchardt Prof. Erwin Melchardt
+43-1-515 60-465

erwin.melchardt@dorotheum.at


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Stammeskunst / Tribal-Art; Afrika
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 09.06.2016 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 04.06. - 09.06.2016


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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