Lot Nr. 412


Alberto Savinio *


Alberto Savinio * - Klassische Moderne

(Athen 1891–1952 Rom)
Partenza degli Argonauti, ca. 1933, signiert Savinio, Öl und Mischtechnik auf Leinwand, 60 x 73,5 cm, ger., (AR)

Fotozertifikat von Ruggero Savinio, Rom, 27. Oktober 2015

Provenienz:
Europäische Privatsammlung

„In den Büchern und Bildern von Alberto Savinio, sowie in denen seines Bruders Giorgio de Chirico, finden sich zahlreiche Abfahrten und Ankünfte, Desertionen und Umkehrungen, Zwischenstationen und Türen, Züge und Schiffe (...) allesamt Attribute, die eine allgemeinere Funktion haben. Sie stellen im Werke Savinios das Urbild der Reise dar, ein Ort des Privilegs, der vor allem dem Mythos der Argonauten vorbehalten ist.“ (Vanni Bramanti, in „L’Argonauta seduto”, S. 33)

Alberto Savinio wurde in Volos geboren und wuchs auch dort auf. Hier absolvierte er seine Ausbildung zum Musiker. Nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1905 zog er mit seinem Bruder Giorgio de Chirico erst nach München, wo er weiterhin Musik studierte, und dann nach Paris, wo er die Chance hatte, mit den wichtigsten kulturellen Milieus in Kontakt zu treten und auch mehrere Vertreter der künstlerischen Avantgarde, wie Apollinaire und Guillaume, anzutreffen. 1915 ging er nach Italien zurück, um dort dem Militär beizutreten, aber nachdem er für den Militärdienst als untauglich erklärt wurde, wurde er erst nach Ferrara und dann nach Thessaloniki versetzt.

1923 zog er nach Rom und gründete dort die Compagnia del Teatro dell’arte. Dort traf er auch die Frau, die er drei Jahre später heiraten und mit der er nach Paris ziehen würde, bevor er sich 1933 endgültig in Italien niederließ. Die Themen des Reisens, der Aufbrüche und des Aufgebens sind wiederkehrende Faktoren aus seinem Leben und stellen einen besonders evokativen und prägenden Teil seines Oeuvres dar. Es war wahrscheinlich besonders der Bezug zu dem griechischen Helden Jason, der Volos verließ, um sich auf die Suche nach dem goldenen Vlies zu machen, der Savinio zu einer persönlichen Neuinterpretation des Mythos in „La partenza degli argonauti“ [„Der Aufbruch der Argonauten“] inspirierte. Savinio identifiziert sich mit Jason, der zu einem Archetypen des Mannes wird, der nicht vor den Mysterien des Reisens, der Abenteuer und der Suche zurückschreckt und den der Künstler hier so umsetzt, dass der Mythos damit in eine tagtägliche Erfahrung umgewandelt und ihm dadurch sein Glorienschein genommen wird. „Volos, die Stadt, die sowohl Jasons als auch die der Kindheit der De Chirico Brüder ist, zusammen mit der See der Argonauten, stellen für Alberto Savinio eine Poetik des Risikos, sowie die Prekarität des Zufalls dar. Sie sind eine Metapher für ein Individuum, das nicht vor den Risiken einer Reise ins Jenseits oder vor den Geheimnissen weit entfernter Länder zurückschreckt (...) für die Reise des Helden entlang seiner wundersamen Pfade, auf etwas Außergewöhnliches hinzu, auf Abenteuer und auf Geheimnisse.“ (Vanni Bramanti, in „L’Argonauta seduto“, S. 36)

Das Thema der Reduktion des Mythos auf das Alltägliche ist ebenso in dem Kapitel „Der Aufbruch des Argonauten“ in Savinios „Hermaphrodito“ vertreten: Der Argonaut ist hier kein anderer als der Autor selbst, der mit seiner Militäreinheit von Ferrara nach Thessaloniki versetzt wird. Sein Freund, der Künstler Carlo Carrà, stellte dies in einer Zeichnung aus dem Jahr 1917 („La partenza dell’argonauta Savinio“ [„Der Aufbruch des Argonauten Savinio“]) wie folgt dar: ein junger Jason mit Brille und militärisch-angehauchter Kleidung, wie er reglos in einem metaphysisch-wirkendem Raum sitzt … eine Art moderner aber untätiger Argonaut, der an seinem Tisch sitzt.

Der Raum in diesem Werk spiegelt eindeutig die Einleitung in Savinios „Hermaphrodito” wider: „... Hinter den weißen Häusern am Ufer läuft eine Kette von niedrigen Hügeln bis zum Vorgebirge entlang, welches den höchsten Punkt markiert und die Landschaft dominiert; auf seinem Gipfel liegen die Ruinen einer kleinen venezianischen Burg, wie flehende Steinfiguren, die einem festgefangenen Geist gleich aus dem Krater eines Vulkans entspringen.” Einleitung, S. XXII. Für Savinio ist das Meer, das stets eine intensive blau-grüne Färbung hat, eine Metapher für Bewegung und Veränderung sowie für den Wechsel zwischen Traum und Realität und somit auch zwischen Leben und Tod. Das Meer steht für die Energie unserer Existenz, aber gleichzeitig auch für ihre Risiken und Gefahren: Manchmal zeigt es sich als ein Ort der ruhigen Zuflucht, aber in diesem Werk lassen die Gewässer doch einen etwas unsicheren Eindruck zurück. Es bleibt uns überlassen, die Bedeutung des großen Kopfes zu deuten, der dort durch die gebirgsartigen Klippen hindurch, den Aufbruch der Argonauten argwöhnisch beobachtet.

Dieser große Kopf taucht in vielen von Savinios Kompositionen auf und stellt normalerweise die Sonne, den Sonnenaufgang oder sogar den Erzengel Gabriel als Boten guter Nachrichten dar, wie in seinem „Annunciazione“ [„Verkündigung“] aus dem Jahre 1932 in der Sammlung Boschi. Der Kopf bringt so oft eine positive Bedeutung mit sich, einen mythologischen Reiz und warme Vertrautheit. Er kann somit als gütige Erscheinung gewertet werden, die mit ihrem Blick auf die Szene, über unsere Helden wacht und sie schützt, während sie sich auf das neue Abenteuer begeben, das weit entfernt von ihrem heimatlichen Boden auf sie wartet.

Nichtsdestotrotz kann der Kopf auch als erdrückende, metaphysische Präsenz gedeutet werden. Um es mit Savinios eigenen Worten auszudrücken: „... meine Eltern sagten immer, dass das Auge Gottes uns überall hin folgt und dass es nicht möglich wäre, sich von seinem Blick zu verstecken, nicht einmal in den verborgensten und geheimsten Orten... In griechischen Kirchen, besonders in den kleinsten und ärmsten, ist das Auge Gottes immer in den rudimentären Dekorationen an den Wänden zu finden. Es sitzt in einem Dreieck und seine gelbe Farbe steht für Gold. Das Auge ist von schwarzen Wimpern umrahmt, die an die Beine eines monströsen Insektes erinnern. Es hat eine riesige, schwarze Pupille, in der sich nichts widerspiegelt und die in der Mitte des Augapfels befestigt ist. Die Idee dieses Auge Gottes, das einen verfolgt, hatte eine fast physische Präsenz für mich. Welchen Einfluß mag diese Kindheitsobsession wohl auf Geistesleben und meine Psyche gehabt haben? Ganz sicher aber müssen die Auswirkungen tief und unauslöschlich sein, da das Thema des Auges in vielen meiner literarischen Bilder, vor allem aber in meinen Gemälden, so beharrlich wiederkehrt ...”.
(Alberto Savinio).

Eine seltene Besonderheit der Leinwand ist hier die hexagonale Form, mit ihren an der Oberseite beschnittenen Ecken. Dies scheint auf die berühmte „Annunciazione” [„Verkündigung”] von 1932 anzuspielen, bei der nur die linke obere Ecke abgeschnitten ist. Eine weitere Ähnlichkeit ist das unverhältnismäßig große Gesicht, welches die Szene beobachtet.

31.05.2016 - 19:00

Schätzwert:
EUR 130.000,- bis EUR 180.000,-

Alberto Savinio *


(Athen 1891–1952 Rom)
Partenza degli Argonauti, ca. 1933, signiert Savinio, Öl und Mischtechnik auf Leinwand, 60 x 73,5 cm, ger., (AR)

Fotozertifikat von Ruggero Savinio, Rom, 27. Oktober 2015

Provenienz:
Europäische Privatsammlung

„In den Büchern und Bildern von Alberto Savinio, sowie in denen seines Bruders Giorgio de Chirico, finden sich zahlreiche Abfahrten und Ankünfte, Desertionen und Umkehrungen, Zwischenstationen und Türen, Züge und Schiffe (...) allesamt Attribute, die eine allgemeinere Funktion haben. Sie stellen im Werke Savinios das Urbild der Reise dar, ein Ort des Privilegs, der vor allem dem Mythos der Argonauten vorbehalten ist.“ (Vanni Bramanti, in „L’Argonauta seduto”, S. 33)

Alberto Savinio wurde in Volos geboren und wuchs auch dort auf. Hier absolvierte er seine Ausbildung zum Musiker. Nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1905 zog er mit seinem Bruder Giorgio de Chirico erst nach München, wo er weiterhin Musik studierte, und dann nach Paris, wo er die Chance hatte, mit den wichtigsten kulturellen Milieus in Kontakt zu treten und auch mehrere Vertreter der künstlerischen Avantgarde, wie Apollinaire und Guillaume, anzutreffen. 1915 ging er nach Italien zurück, um dort dem Militär beizutreten, aber nachdem er für den Militärdienst als untauglich erklärt wurde, wurde er erst nach Ferrara und dann nach Thessaloniki versetzt.

1923 zog er nach Rom und gründete dort die Compagnia del Teatro dell’arte. Dort traf er auch die Frau, die er drei Jahre später heiraten und mit der er nach Paris ziehen würde, bevor er sich 1933 endgültig in Italien niederließ. Die Themen des Reisens, der Aufbrüche und des Aufgebens sind wiederkehrende Faktoren aus seinem Leben und stellen einen besonders evokativen und prägenden Teil seines Oeuvres dar. Es war wahrscheinlich besonders der Bezug zu dem griechischen Helden Jason, der Volos verließ, um sich auf die Suche nach dem goldenen Vlies zu machen, der Savinio zu einer persönlichen Neuinterpretation des Mythos in „La partenza degli argonauti“ [„Der Aufbruch der Argonauten“] inspirierte. Savinio identifiziert sich mit Jason, der zu einem Archetypen des Mannes wird, der nicht vor den Mysterien des Reisens, der Abenteuer und der Suche zurückschreckt und den der Künstler hier so umsetzt, dass der Mythos damit in eine tagtägliche Erfahrung umgewandelt und ihm dadurch sein Glorienschein genommen wird. „Volos, die Stadt, die sowohl Jasons als auch die der Kindheit der De Chirico Brüder ist, zusammen mit der See der Argonauten, stellen für Alberto Savinio eine Poetik des Risikos, sowie die Prekarität des Zufalls dar. Sie sind eine Metapher für ein Individuum, das nicht vor den Risiken einer Reise ins Jenseits oder vor den Geheimnissen weit entfernter Länder zurückschreckt (...) für die Reise des Helden entlang seiner wundersamen Pfade, auf etwas Außergewöhnliches hinzu, auf Abenteuer und auf Geheimnisse.“ (Vanni Bramanti, in „L’Argonauta seduto“, S. 36)

Das Thema der Reduktion des Mythos auf das Alltägliche ist ebenso in dem Kapitel „Der Aufbruch des Argonauten“ in Savinios „Hermaphrodito“ vertreten: Der Argonaut ist hier kein anderer als der Autor selbst, der mit seiner Militäreinheit von Ferrara nach Thessaloniki versetzt wird. Sein Freund, der Künstler Carlo Carrà, stellte dies in einer Zeichnung aus dem Jahr 1917 („La partenza dell’argonauta Savinio“ [„Der Aufbruch des Argonauten Savinio“]) wie folgt dar: ein junger Jason mit Brille und militärisch-angehauchter Kleidung, wie er reglos in einem metaphysisch-wirkendem Raum sitzt … eine Art moderner aber untätiger Argonaut, der an seinem Tisch sitzt.

Der Raum in diesem Werk spiegelt eindeutig die Einleitung in Savinios „Hermaphrodito” wider: „... Hinter den weißen Häusern am Ufer läuft eine Kette von niedrigen Hügeln bis zum Vorgebirge entlang, welches den höchsten Punkt markiert und die Landschaft dominiert; auf seinem Gipfel liegen die Ruinen einer kleinen venezianischen Burg, wie flehende Steinfiguren, die einem festgefangenen Geist gleich aus dem Krater eines Vulkans entspringen.” Einleitung, S. XXII. Für Savinio ist das Meer, das stets eine intensive blau-grüne Färbung hat, eine Metapher für Bewegung und Veränderung sowie für den Wechsel zwischen Traum und Realität und somit auch zwischen Leben und Tod. Das Meer steht für die Energie unserer Existenz, aber gleichzeitig auch für ihre Risiken und Gefahren: Manchmal zeigt es sich als ein Ort der ruhigen Zuflucht, aber in diesem Werk lassen die Gewässer doch einen etwas unsicheren Eindruck zurück. Es bleibt uns überlassen, die Bedeutung des großen Kopfes zu deuten, der dort durch die gebirgsartigen Klippen hindurch, den Aufbruch der Argonauten argwöhnisch beobachtet.

Dieser große Kopf taucht in vielen von Savinios Kompositionen auf und stellt normalerweise die Sonne, den Sonnenaufgang oder sogar den Erzengel Gabriel als Boten guter Nachrichten dar, wie in seinem „Annunciazione“ [„Verkündigung“] aus dem Jahre 1932 in der Sammlung Boschi. Der Kopf bringt so oft eine positive Bedeutung mit sich, einen mythologischen Reiz und warme Vertrautheit. Er kann somit als gütige Erscheinung gewertet werden, die mit ihrem Blick auf die Szene, über unsere Helden wacht und sie schützt, während sie sich auf das neue Abenteuer begeben, das weit entfernt von ihrem heimatlichen Boden auf sie wartet.

Nichtsdestotrotz kann der Kopf auch als erdrückende, metaphysische Präsenz gedeutet werden. Um es mit Savinios eigenen Worten auszudrücken: „... meine Eltern sagten immer, dass das Auge Gottes uns überall hin folgt und dass es nicht möglich wäre, sich von seinem Blick zu verstecken, nicht einmal in den verborgensten und geheimsten Orten... In griechischen Kirchen, besonders in den kleinsten und ärmsten, ist das Auge Gottes immer in den rudimentären Dekorationen an den Wänden zu finden. Es sitzt in einem Dreieck und seine gelbe Farbe steht für Gold. Das Auge ist von schwarzen Wimpern umrahmt, die an die Beine eines monströsen Insektes erinnern. Es hat eine riesige, schwarze Pupille, in der sich nichts widerspiegelt und die in der Mitte des Augapfels befestigt ist. Die Idee dieses Auge Gottes, das einen verfolgt, hatte eine fast physische Präsenz für mich. Welchen Einfluß mag diese Kindheitsobsession wohl auf Geistesleben und meine Psyche gehabt haben? Ganz sicher aber müssen die Auswirkungen tief und unauslöschlich sein, da das Thema des Auges in vielen meiner literarischen Bilder, vor allem aber in meinen Gemälden, so beharrlich wiederkehrt ...”.
(Alberto Savinio).

Eine seltene Besonderheit der Leinwand ist hier die hexagonale Form, mit ihren an der Oberseite beschnittenen Ecken. Dies scheint auf die berühmte „Annunciazione” [„Verkündigung”] von 1932 anzuspielen, bei der nur die linke obere Ecke abgeschnitten ist. Eine weitere Ähnlichkeit ist das unverhältnismäßig große Gesicht, welches die Szene beobachtet.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Klassische Moderne
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 31.05.2016 - 19:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 21.05. - 31.05.2016