Lot Nr. 216 #


"Visino" zugeschrieben


"Visino" zugeschrieben - Alte Meister

(tätig in Florenz in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts)
Die Heilige Familie mit Johannes dem Täufer und der Verkündigung an die Hirten im Hintergrund
Öl auf Holz, 99,3 x 86,6 cm, gerahmt

Dem Vorbild der großen toskanischen Meister der Hochrenaissance und oft auch deren populären Kompositionen folgend, etablierte sich im frühen 16. Jahrhundert eine Gruppe heute wenig bekannter Künstler auf dem florentinischen Kunstmarkt. Diese arbeiteten für wohlhabende Kaufleute und kleinere Kirchen und schufen vorrangig kleinformatige Gemälde für die häusliche Andacht, Porträts und mythologische Szenen. Das vorliegende Gemälde, offensichtlich beeinflusst von Fra Bartolommeo, stammt von einem Andrea del Sarto nahe stehenden Meister. Die Komposition basiert frei auf einem Gemälde in der Galleria Doria Pamphilij in Rom, das Andrea G. De Marchi, dem wir für seine Hilfe danken, als Werk Andrea del Sartos und seiner Werkstatt identifiziert hat. Jüngst wurde eine Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes an Visino, einen Schüler Franciabigios, vorgeschlagen.

Die wenigen biographischen Informationen, die über Visino vorliegen, verdanken wir einer kurzen Erwähnung in Vasaris „Vite“. In den Lebensbeschreibungen des Mariotto Albertinelli und Franciabigios erwähnt Vasari Visino als beider Schüler. Während Visino in der Ausgabe von 1550 nur kurz erwähnt wird, fügt Vasari seiner Ausgabe von 1568 einen längeren Bericht an und beschreibt ihn als einen verheißungsvollen Künstler: „migliore di tutti questi per disegno, colorito e diligenzia e per una miglior maniera che mostrò nelle cose che e‘ fece, condotte con molta diligenza“. Laut Vasari befanden sich zwei seiner Werke damals in der Sammlung des Giovanni Battista di Agnolo Doni: ein heute verschollenes kleinformatiges „Spiegel-Bild“ mit der Darstellung des Sündenfalls von Adam und Eva und eine Kreuzabnahme, welche sehr wahrscheinlich mit einer qualitätvollen kleinen Tafel zu identifizieren ist, die sich heute im Seminario Patriarcale in Venedig befindet. Visino wird heute zu denjenigen Malern gezählt, für die Federico Zeri die Bezeichnung der „eccentrici fiorentini“ geprägt hat, einer stilistisch eigenwilligen Gruppe florentinischer Maler des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts, die dem Stil der großen florentinischen Meister des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts verpflichtet sind, Filippino Lippi, Piero di Cosimo, Andrea del Sarto, Fra Bartolommeo und Martiotto Albertinelli (s. F. Zeri, Ec-cen-trici fio-ren-tini, I, in “Bol-let-tino d’arte”, IV se-rie, XLVII, 1962, S. 216–236).

2010 schlug Susanne Wellen eine überzeugende Identifizierung Visinos vor, indem sie Vasaris Visino mit der schillernden Figur des merciaio, Kunsthändlers und Malers Migliore di Girolamo Visini (1500–1550) in Verbindung brachte (s. S. Wellen: “Essendo di natura libero e sciolto”. A proposal for the identification of the painter Visino and an analysis of his role in the social and cultural life of Florence in the 1530s and 1540s, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, Bd. LIV, 2010-2012, Nr. 3, S. 479–504). Franciabigio, Visinos Meister, wurde in Florenz geboren und arbeitete anfänglich bis 1506 unter Albertinelli. Im Jahr 1505 freundete er sich mit Andrea del Sarto an und gründete mit diesem später eine Werkstatt an der Piazza del Grano. Ist das vorliegende Gemälde ausgeführt worden, als Visino noch bei Franciabigio in Ausbildung stand und dieser eine Werkstatt mit del Sarto teilte? Serena Padovani, die führende del Sarto-Expertin, schrieb Visino eine kleine Tafel mit der Darstellung der Leda mit dem Schwan in den Uffizien zu (dort katalogisiert als Umkreis del Sartos), die zu einer großen Gruppe kleinformatiger Gemälde zählt, die von Leonardos berühmter Komposition beeinflusst sind. Die Uffizien-Tafel zeigt wie das vorliegende Gemälde im figürlichen Bereich die gleichen Ungereimtheiten im Maßstab sowie, interessanterweise, ein ruhendes Kind in der unteren linken Bildecke, das mit dem Christuskind auf dem vorliegenden Tafelwerk fast identisch ist.

21.10.2014 - 18:00

Schätzwert:
EUR 25.000,- bis EUR 30.000,-

"Visino" zugeschrieben


(tätig in Florenz in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts)
Die Heilige Familie mit Johannes dem Täufer und der Verkündigung an die Hirten im Hintergrund
Öl auf Holz, 99,3 x 86,6 cm, gerahmt

Dem Vorbild der großen toskanischen Meister der Hochrenaissance und oft auch deren populären Kompositionen folgend, etablierte sich im frühen 16. Jahrhundert eine Gruppe heute wenig bekannter Künstler auf dem florentinischen Kunstmarkt. Diese arbeiteten für wohlhabende Kaufleute und kleinere Kirchen und schufen vorrangig kleinformatige Gemälde für die häusliche Andacht, Porträts und mythologische Szenen. Das vorliegende Gemälde, offensichtlich beeinflusst von Fra Bartolommeo, stammt von einem Andrea del Sarto nahe stehenden Meister. Die Komposition basiert frei auf einem Gemälde in der Galleria Doria Pamphilij in Rom, das Andrea G. De Marchi, dem wir für seine Hilfe danken, als Werk Andrea del Sartos und seiner Werkstatt identifiziert hat. Jüngst wurde eine Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes an Visino, einen Schüler Franciabigios, vorgeschlagen.

Die wenigen biographischen Informationen, die über Visino vorliegen, verdanken wir einer kurzen Erwähnung in Vasaris „Vite“. In den Lebensbeschreibungen des Mariotto Albertinelli und Franciabigios erwähnt Vasari Visino als beider Schüler. Während Visino in der Ausgabe von 1550 nur kurz erwähnt wird, fügt Vasari seiner Ausgabe von 1568 einen längeren Bericht an und beschreibt ihn als einen verheißungsvollen Künstler: „migliore di tutti questi per disegno, colorito e diligenzia e per una miglior maniera che mostrò nelle cose che e‘ fece, condotte con molta diligenza“. Laut Vasari befanden sich zwei seiner Werke damals in der Sammlung des Giovanni Battista di Agnolo Doni: ein heute verschollenes kleinformatiges „Spiegel-Bild“ mit der Darstellung des Sündenfalls von Adam und Eva und eine Kreuzabnahme, welche sehr wahrscheinlich mit einer qualitätvollen kleinen Tafel zu identifizieren ist, die sich heute im Seminario Patriarcale in Venedig befindet. Visino wird heute zu denjenigen Malern gezählt, für die Federico Zeri die Bezeichnung der „eccentrici fiorentini“ geprägt hat, einer stilistisch eigenwilligen Gruppe florentinischer Maler des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts, die dem Stil der großen florentinischen Meister des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts verpflichtet sind, Filippino Lippi, Piero di Cosimo, Andrea del Sarto, Fra Bartolommeo und Martiotto Albertinelli (s. F. Zeri, Ec-cen-trici fio-ren-tini, I, in “Bol-let-tino d’arte”, IV se-rie, XLVII, 1962, S. 216–236).

2010 schlug Susanne Wellen eine überzeugende Identifizierung Visinos vor, indem sie Vasaris Visino mit der schillernden Figur des merciaio, Kunsthändlers und Malers Migliore di Girolamo Visini (1500–1550) in Verbindung brachte (s. S. Wellen: “Essendo di natura libero e sciolto”. A proposal for the identification of the painter Visino and an analysis of his role in the social and cultural life of Florence in the 1530s and 1540s, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, Bd. LIV, 2010-2012, Nr. 3, S. 479–504). Franciabigio, Visinos Meister, wurde in Florenz geboren und arbeitete anfänglich bis 1506 unter Albertinelli. Im Jahr 1505 freundete er sich mit Andrea del Sarto an und gründete mit diesem später eine Werkstatt an der Piazza del Grano. Ist das vorliegende Gemälde ausgeführt worden, als Visino noch bei Franciabigio in Ausbildung stand und dieser eine Werkstatt mit del Sarto teilte? Serena Padovani, die führende del Sarto-Expertin, schrieb Visino eine kleine Tafel mit der Darstellung der Leda mit dem Schwan in den Uffizien zu (dort katalogisiert als Umkreis del Sartos), die zu einer großen Gruppe kleinformatiger Gemälde zählt, die von Leonardos berühmter Komposition beeinflusst sind. Die Uffizien-Tafel zeigt wie das vorliegende Gemälde im figürlichen Bereich die gleichen Ungereimtheiten im Maßstab sowie, interessanterweise, ein ruhendes Kind in der unteren linken Bildecke, das mit dem Christuskind auf dem vorliegenden Tafelwerk fast identisch ist.


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old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 21.10.2014 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 11.10. - 21.10.2014