Lot Nr. 613


Giovanni Francesco Barbieri, il Guercino (Cento 1591 – 1666 Bologna)


Giovanni Francesco Barbieri, il Guercino (Cento 1591 – 1666 Bologna) - Alte Meister

Caritas, Öl auf Leinwand, 138,5 x 172,5 cm, gerahmt

Wir danken Nicholas Turner, der die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes nach dessen Prüfung im Original bestätigt hat.

Bei diesem wiederentdeckten Gemälde handelt es sich höchstwahrscheinlich um die „Carita con li 3 Putti“, für die Guercino am 26. September 1644 von Padre D. Gregorio Maffoni 150 Scudi erhielt.(1) Nach Guercinos systematischer Preisgestaltung, die auf der Größe der einzelnen Figuren einer Komposition beruhte, entspräche dieser Betrag in etwa der vorliegenden Darstellung mit einer halbfigurigen Erwachsenen, zwei Putten und Kopf und Schultern eines Kleinkindes (für die drei zuletzt genannten Bildelemente wäre ungefähr der Preis für drei Köpfe von Erwachsenen veranschlagt worden).(2) Padre Maffoni hat womöglich als Priester einen Preisnachlass erhalten. In seiner Lebensbeschreibung des Künstlers erwähnt Malvasia die Caritas unter den Aufträgen des Malers aus dem Jahr 1644: “Una Carità con tre putti al P. Maffoni”.(3) 

Der Malstil des Bildes steht in Einklang mit Guercinos Mitte der 1640er-Jahre entstandenen Werken. 1642 ging der Maler aus seiner Heimatstadt Cento nach Bologna, wo er zum führenden Maler der Stadt wurde, nachdem sein Erzrivale Guido Reni (1573–1642) im selben Jahr verstorben war. Diese hohe Stellung trug zu einer Entwicklung bei, die sich bereits in den einigen Jahren zuvor entstandenen Gemälden abgezeichnet hatte und strenger aufgefasste klassische Kompositionen sowie eine erweiterte Farbpalette mit sich brachte. Dieser erhabenere Stil fand auch während Guercinos weiterer Heranreifung als Künstler seine Fortsetzung. Die reinere und spirituellere Auffassung fiel auch mit einer Veränderung im Geschmack seiner Aufraggeber zusammen, die einerseits erpicht darauf waren, Bilder von der Hand des mittlerweile berühmten Malers zu besitzen, und sich andererseits der immer mehr um sich greifenden internationalen Vorliebe für den klassischen Stil anschlossen.

Röntgenaufnahmen der Caritas zeigen, dass Guercino noch kleinere Anpassungen vornahm, nachdem er mit dem Malen begonnen hatte. Die auffälligsten Pentimenti befinden sich in der linken unteren Ecke, wo sich die Umrisslinie des Schattens, den der auf der Matratze liegende Überwurf wirft, im rechten Oberschenkel der Caritas fortsetzt, was darauf hinweist, dass die Knie zuvor weiter nach rechts ausgerichtet waren. Aus einem retouchierten Druck der Caritas, abgenommen von einer heute verlorenen Rötelzeichnung Guercinos – einer aus der großen Gruppe von Abdrucken von Guercinos Rötelzeichnungen in der Royal Library, Windsor Castle – wird ein Entwicklungsstadium ersichtlich, in dem die Knie nach links, über die Bettkante, geschwungen waren (auf dem Abdruck befinden sich die Knie rechts, da Guercinos Original durch die Übertragung seitenverkehrt erscheint) (Abb. 1).(4) In seinem gesamten Oeuvre ist es ein typisches Merkmal für Guercinos Arbeitsmethode, dass er sich Optionen bis zuletzt offen ließ.

Ein weiteres interessantes Pentiment, das in der Röntgenaufnahme nicht so leicht zu erkennen ist, betrifft das linke Bein des links stehenden Puttos, der mit beiden Händen ein Kissen hochhält. Im ausgeführten Gemälde befindet sich sein linkes Bein im Schatten und steht beinahe senkrecht, während sich auf seinem rechten Bein das Licht fängt. Die Röntgenaufnahme zeigt, dass sein linker Unterschenkel ursprünglich nach hinten gebeugt war, ähnlich wie der linke Unterschenkel seines Gegenspielers rechts im Bild, auf den ebenfalls ein Schatten fällt. Guercino hat diese Veränderung womöglich vorgenommen, um eine nicht vorteilhafte Wiederholung der Beinhaltung der beiden einander gegenübergestellten Figuren zu vermeiden.

Der Turban, den die Caritas trägt, ähnelt der Kopfbedeckung der Kleopatra in dem Gemälde Kleopatra vor Augustus in der Pinacoteca Capitolina in Rom von 1640, die ebenfalls ein ausgeschnittenes rotes Kleid trägt.(5) Die mit einem weißen Leintuch bedeckte Matratze, der an beiden Seiten nach hinten gezogene purpurfarbene Baldachin und die schweren Kissen mit Quasten an den Ecken lassen an die noch prächtiger ausgefallene Szenerie des Gemäldes Tod der Kleopatra in der Galleria d’arte del Comune im Palazzo Rosso in Genua von 1648 denken.(6) Und der Blick, den die Caritas dem rechten Putto von der Seite zuwirft, erinnert an den in diesem Fall allerdings dem Betrachter geltenden Blick des Puttos, der als Begleiter der Phrygischen Sibylle in Erscheinung tritt (1647, Privatsammlung).(7)

Eine Kompositionsstudie zur Caritas befindet sich in der Burrell Collection, Glasgow Museum, und wurde kürzlich von Robert Wenley publiziert. Offensichtlich handelt es sich um eine frühe Idee für das Maffoni-Bild, das zum Zeitpunkt, als Wenley seinen Text verfasst hat, noch nicht bekannt war (Abb. 2).(8) Der Stil der Zeichnung lässt eine Datierung um Mitte der 1640er-Jahre annehmen; er weist bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit einigen Vorzeichnungen Guercinos für das Altarbild der Auffindung des wahren Kreuzes auf, das 1644 für die Kirche S. Lazzaro dei Mendicanti in Venedig entstanden ist.(9) Die zahlreichen Unterschiede zwischen der Zeichnung in Glasgow und dem Gemälde betreffen auch den Kopf der Caritas, die in der Zeichnung im Profil nach rechts dargestellt ist, während sie im Gemälde eher frontal gegeben ist; darüber hinaus erscheint der Kopf des trinkenden Kindes auf der Zeichnung rechts statt links. Die schon erwähnte verlorene Rötelzeichnung, von der es in Windsor eine Reproduktion gibt, gehörte einem viel späteren Arbeitsstadium an.

Wenley hat die Zeichnung in Glasgow ganz richtig mit der Komposition des vorliegenden Bildes in Zusammenhang gebracht, das zuvor nur durch eine schwache Wiederholung in einer Privatsammlung bekannt war, die Guercinos jüngerem Neffen, Cesare Gennari (1637–1688), zugeschrieben wurde.(10) Das Wiederauftauchen des vorliegenden Bildes macht es wahrscheinlicher, dass das Gemälde in der Privatsammlung nur eine Replik eines Schülers Guercinos ist und möglicherweise in der Werkstatt des Künstlers gemalt wurde, bevor das Original an Maffoni geliefert wurde. Von Cesare Gennari kann es kaum stammen, denn er wäre 1644 erst sieben Jahre alt gewesen.

Wir danken Nicolas Turner für die Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Anmerkungen:
1 B. Ghelfi, Il libro dei conti del Guercino, 1629–1666, Nuova Alfa 1997, S. 122, Nr. 316, als nicht identifiziert.
2 Köpfe wurden jeweils mit 25 Dukaten veranschlagt (33,75 Scudi), Halbfiguren mit 50 Dukaten (67,5 Scudi) und ganzfigurige Darstellungen mit 100 Dukaten (135 Scudi).
3 C. C. Malvasia, Felsina Pittrice, hg. 1841, II, S. 266.
4 Windsor Castle, Royal Library, Inv. Nr. 2966; retouchierter Rötel-Offsetdruck; 197 x 269 mm (D. Mahon und N. Turner, The Drawings of Guercino in the Collection of Her Majesty the Queen at Windsor Castle, Cambridge 1989, S. 200, Nr. 712. Eine frühe Studie im Teyler Museum, Haarlem, für Guercinos 1648 gemalten Tod der Kleopatra in der Galleria d’Arte del Comune, Palazzo Rosso, Genua, zeigt Kleopatra am anderen Ende des Bettes sitzend, wobei ihre Beine an der Seite herabhängen, ähnlich wie die der Caritas der vier Jahre früher entstandenen vorliegenden Komposition und insbesondere der verlorenen Kompositionsstudie, die in Form des Rötelabdrucks erhalten ist (C. Van Tuyll Serooskerken, Guercino (1591–1666), Drawings from Dutch Collections, Gravenhage 1991, S. 130/31, Nr. 54). Die Behauptung im Windsor-Katalog, dass es einen Zusammenhang zwischen der verlorenen Rötelzeichnung und der Caritas im Dayton Art Institute, Dayton, Ohio, gibt, ist angesichts des Wiederauftauchens des vorliegenden Bildes nicht haltbar.
5 L. Salerno, I dipinti del Guercino, Rom 1988, S. 268, Nr. 184; und D. Mahon, „Catalogo critico“, in: Giovanni Francesco Barbieri Il Guercino 1591–1666, Ausst. Kat., D. Mahon, Museo Civico Archeologico, Bologna, und Pinacoteca Civica und Chiesa del Rosario, Cento, September bis November 1991, S. 234, Nr. 84. Die exotisch gekleidete Caritas geht auf die Fresken der Sibyllen in den Lünetten des Kuppelunterbaus in der Kathedrale von Piacenza zurück, die Guercino 1627 malte. Dort tragen die Figuren aufwändige Kopfbedeckungen, darunter auch Turbane (zu den Fresken siehe Salerno 1988, S. 203–206, Nr. 114, M-P). Aus Guercinos langjährigem Schaffen gibt es mehrere Darstellungen der Caritas, sowohl gemalte als auch gezeichnete. Unter ihnen befindet sich eine berühmte lavierte Federzeichnung der Caritas mit einem alten Mann im British Museum, London, die Mitte der 1620er-Jahre datierbar ist (Inv. Nr. 1895-9-15-706; Feder in Braun, braun laviert; 268 x 417 mm, siehe N. Turner und C. Plazzotta, Drawings by Guercino from British Collections, London 1991, S. 82, Nr. 54, und S. 240, Nr. 9). Ein Gemälde der Caritas, das höchstwahrscheinlich Guercinos Spätwerk zuzuordnen ist, wurde noch nicht aufgefunden. Es befand sich unter einer Gruppe von Bildern aus unterschiedlichen Perioden, die nach dem Tod des Künstlers in seinem Haus verblieb; das Bild ist beschrieben als „Una Carità con tre puttini, che scherzano mirabilmente“ (Malvasia 1841, II, S. 27). Eine hochformatige Komposition desselben Themas, in der die Caritas abermals einen Turban trägt, ist durch eine Zeichnung Guercinos im British Museum überliefert, die der Autor einmal Cesare Gennari zugeschrieben hat und von der er heute glaubt, dass sie von Guercino selbst stammt (Inv. Nr. 1884-3-8-9, schwarze Kreide, 224 x 193 mm, siehe Turner und Plazzotta 1991, S. 289, App. Nr. 120). Die Zeichnung im British Museum steht offensichtlich in Zusammenhang mit einem Gemälde, das allgemein Cesare Gennari zugeschrieben wird und sich in der Galleria Nazionale d’Arte Antica in Rom befindet. Es könnte sich gut um eine Werkstattkopie nach einem verlorenen Werk Guercinos handeln.
6 Salerno 1988, S. 325, Nr. 252; und Mahon 1991, S. 310/11, Nr. 117.
7 Mahon 1991, S. 310/11, Nr. 117.
8 Glasgow, Glasgow Museums, Burrell Collection: Inv. Nr. 36.41; Feder in Braun, braun laviert; 155 x 193 mm (R. Wenley, „Guercino in Glasgow“, Master Drawings, XLVIII, Nr. 2, 2010, S. 179–181, Abb. 1).
9 Zum Beispiel die Kompositionszeichnung in der Royal Library, Windsor Castle, Inv. Nr. 2681 (Mahon und Turner 1989, Nr. 110; N. Turner und C. Plazzotta, Drawings by Guercino from British Collections, London und Rom, S. 165/66, Nr. 136).
10 Wenley 2010, S. 180, Abb. 4. Siehe auch E. Negro, M. Pirondini und N. Roio, La scuola del Guercino, Modena 2004, S. 209 und S. 228, Abb. 374, wo eine Datierung des Gemäldes in die frühen 1660er-Jahre vorgeschlagen wird.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

17.10.2012 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 317.500,-
Schätzwert:
EUR 200.000,- bis EUR 300.000,-

Giovanni Francesco Barbieri, il Guercino (Cento 1591 – 1666 Bologna)


Caritas, Öl auf Leinwand, 138,5 x 172,5 cm, gerahmt

Wir danken Nicholas Turner, der die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes nach dessen Prüfung im Original bestätigt hat.

Bei diesem wiederentdeckten Gemälde handelt es sich höchstwahrscheinlich um die „Carita con li 3 Putti“, für die Guercino am 26. September 1644 von Padre D. Gregorio Maffoni 150 Scudi erhielt.(1) Nach Guercinos systematischer Preisgestaltung, die auf der Größe der einzelnen Figuren einer Komposition beruhte, entspräche dieser Betrag in etwa der vorliegenden Darstellung mit einer halbfigurigen Erwachsenen, zwei Putten und Kopf und Schultern eines Kleinkindes (für die drei zuletzt genannten Bildelemente wäre ungefähr der Preis für drei Köpfe von Erwachsenen veranschlagt worden).(2) Padre Maffoni hat womöglich als Priester einen Preisnachlass erhalten. In seiner Lebensbeschreibung des Künstlers erwähnt Malvasia die Caritas unter den Aufträgen des Malers aus dem Jahr 1644: “Una Carità con tre putti al P. Maffoni”.(3) 

Der Malstil des Bildes steht in Einklang mit Guercinos Mitte der 1640er-Jahre entstandenen Werken. 1642 ging der Maler aus seiner Heimatstadt Cento nach Bologna, wo er zum führenden Maler der Stadt wurde, nachdem sein Erzrivale Guido Reni (1573–1642) im selben Jahr verstorben war. Diese hohe Stellung trug zu einer Entwicklung bei, die sich bereits in den einigen Jahren zuvor entstandenen Gemälden abgezeichnet hatte und strenger aufgefasste klassische Kompositionen sowie eine erweiterte Farbpalette mit sich brachte. Dieser erhabenere Stil fand auch während Guercinos weiterer Heranreifung als Künstler seine Fortsetzung. Die reinere und spirituellere Auffassung fiel auch mit einer Veränderung im Geschmack seiner Aufraggeber zusammen, die einerseits erpicht darauf waren, Bilder von der Hand des mittlerweile berühmten Malers zu besitzen, und sich andererseits der immer mehr um sich greifenden internationalen Vorliebe für den klassischen Stil anschlossen.

Röntgenaufnahmen der Caritas zeigen, dass Guercino noch kleinere Anpassungen vornahm, nachdem er mit dem Malen begonnen hatte. Die auffälligsten Pentimenti befinden sich in der linken unteren Ecke, wo sich die Umrisslinie des Schattens, den der auf der Matratze liegende Überwurf wirft, im rechten Oberschenkel der Caritas fortsetzt, was darauf hinweist, dass die Knie zuvor weiter nach rechts ausgerichtet waren. Aus einem retouchierten Druck der Caritas, abgenommen von einer heute verlorenen Rötelzeichnung Guercinos – einer aus der großen Gruppe von Abdrucken von Guercinos Rötelzeichnungen in der Royal Library, Windsor Castle – wird ein Entwicklungsstadium ersichtlich, in dem die Knie nach links, über die Bettkante, geschwungen waren (auf dem Abdruck befinden sich die Knie rechts, da Guercinos Original durch die Übertragung seitenverkehrt erscheint) (Abb. 1).(4) In seinem gesamten Oeuvre ist es ein typisches Merkmal für Guercinos Arbeitsmethode, dass er sich Optionen bis zuletzt offen ließ.

Ein weiteres interessantes Pentiment, das in der Röntgenaufnahme nicht so leicht zu erkennen ist, betrifft das linke Bein des links stehenden Puttos, der mit beiden Händen ein Kissen hochhält. Im ausgeführten Gemälde befindet sich sein linkes Bein im Schatten und steht beinahe senkrecht, während sich auf seinem rechten Bein das Licht fängt. Die Röntgenaufnahme zeigt, dass sein linker Unterschenkel ursprünglich nach hinten gebeugt war, ähnlich wie der linke Unterschenkel seines Gegenspielers rechts im Bild, auf den ebenfalls ein Schatten fällt. Guercino hat diese Veränderung womöglich vorgenommen, um eine nicht vorteilhafte Wiederholung der Beinhaltung der beiden einander gegenübergestellten Figuren zu vermeiden.

Der Turban, den die Caritas trägt, ähnelt der Kopfbedeckung der Kleopatra in dem Gemälde Kleopatra vor Augustus in der Pinacoteca Capitolina in Rom von 1640, die ebenfalls ein ausgeschnittenes rotes Kleid trägt.(5) Die mit einem weißen Leintuch bedeckte Matratze, der an beiden Seiten nach hinten gezogene purpurfarbene Baldachin und die schweren Kissen mit Quasten an den Ecken lassen an die noch prächtiger ausgefallene Szenerie des Gemäldes Tod der Kleopatra in der Galleria d’arte del Comune im Palazzo Rosso in Genua von 1648 denken.(6) Und der Blick, den die Caritas dem rechten Putto von der Seite zuwirft, erinnert an den in diesem Fall allerdings dem Betrachter geltenden Blick des Puttos, der als Begleiter der Phrygischen Sibylle in Erscheinung tritt (1647, Privatsammlung).(7)

Eine Kompositionsstudie zur Caritas befindet sich in der Burrell Collection, Glasgow Museum, und wurde kürzlich von Robert Wenley publiziert. Offensichtlich handelt es sich um eine frühe Idee für das Maffoni-Bild, das zum Zeitpunkt, als Wenley seinen Text verfasst hat, noch nicht bekannt war (Abb. 2).(8) Der Stil der Zeichnung lässt eine Datierung um Mitte der 1640er-Jahre annehmen; er weist bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit einigen Vorzeichnungen Guercinos für das Altarbild der Auffindung des wahren Kreuzes auf, das 1644 für die Kirche S. Lazzaro dei Mendicanti in Venedig entstanden ist.(9) Die zahlreichen Unterschiede zwischen der Zeichnung in Glasgow und dem Gemälde betreffen auch den Kopf der Caritas, die in der Zeichnung im Profil nach rechts dargestellt ist, während sie im Gemälde eher frontal gegeben ist; darüber hinaus erscheint der Kopf des trinkenden Kindes auf der Zeichnung rechts statt links. Die schon erwähnte verlorene Rötelzeichnung, von der es in Windsor eine Reproduktion gibt, gehörte einem viel späteren Arbeitsstadium an.

Wenley hat die Zeichnung in Glasgow ganz richtig mit der Komposition des vorliegenden Bildes in Zusammenhang gebracht, das zuvor nur durch eine schwache Wiederholung in einer Privatsammlung bekannt war, die Guercinos jüngerem Neffen, Cesare Gennari (1637–1688), zugeschrieben wurde.(10) Das Wiederauftauchen des vorliegenden Bildes macht es wahrscheinlicher, dass das Gemälde in der Privatsammlung nur eine Replik eines Schülers Guercinos ist und möglicherweise in der Werkstatt des Künstlers gemalt wurde, bevor das Original an Maffoni geliefert wurde. Von Cesare Gennari kann es kaum stammen, denn er wäre 1644 erst sieben Jahre alt gewesen.

Wir danken Nicolas Turner für die Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Anmerkungen:
1 B. Ghelfi, Il libro dei conti del Guercino, 1629–1666, Nuova Alfa 1997, S. 122, Nr. 316, als nicht identifiziert.
2 Köpfe wurden jeweils mit 25 Dukaten veranschlagt (33,75 Scudi), Halbfiguren mit 50 Dukaten (67,5 Scudi) und ganzfigurige Darstellungen mit 100 Dukaten (135 Scudi).
3 C. C. Malvasia, Felsina Pittrice, hg. 1841, II, S. 266.
4 Windsor Castle, Royal Library, Inv. Nr. 2966; retouchierter Rötel-Offsetdruck; 197 x 269 mm (D. Mahon und N. Turner, The Drawings of Guercino in the Collection of Her Majesty the Queen at Windsor Castle, Cambridge 1989, S. 200, Nr. 712. Eine frühe Studie im Teyler Museum, Haarlem, für Guercinos 1648 gemalten Tod der Kleopatra in der Galleria d’Arte del Comune, Palazzo Rosso, Genua, zeigt Kleopatra am anderen Ende des Bettes sitzend, wobei ihre Beine an der Seite herabhängen, ähnlich wie die der Caritas der vier Jahre früher entstandenen vorliegenden Komposition und insbesondere der verlorenen Kompositionsstudie, die in Form des Rötelabdrucks erhalten ist (C. Van Tuyll Serooskerken, Guercino (1591–1666), Drawings from Dutch Collections, Gravenhage 1991, S. 130/31, Nr. 54). Die Behauptung im Windsor-Katalog, dass es einen Zusammenhang zwischen der verlorenen Rötelzeichnung und der Caritas im Dayton Art Institute, Dayton, Ohio, gibt, ist angesichts des Wiederauftauchens des vorliegenden Bildes nicht haltbar.
5 L. Salerno, I dipinti del Guercino, Rom 1988, S. 268, Nr. 184; und D. Mahon, „Catalogo critico“, in: Giovanni Francesco Barbieri Il Guercino 1591–1666, Ausst. Kat., D. Mahon, Museo Civico Archeologico, Bologna, und Pinacoteca Civica und Chiesa del Rosario, Cento, September bis November 1991, S. 234, Nr. 84. Die exotisch gekleidete Caritas geht auf die Fresken der Sibyllen in den Lünetten des Kuppelunterbaus in der Kathedrale von Piacenza zurück, die Guercino 1627 malte. Dort tragen die Figuren aufwändige Kopfbedeckungen, darunter auch Turbane (zu den Fresken siehe Salerno 1988, S. 203–206, Nr. 114, M-P). Aus Guercinos langjährigem Schaffen gibt es mehrere Darstellungen der Caritas, sowohl gemalte als auch gezeichnete. Unter ihnen befindet sich eine berühmte lavierte Federzeichnung der Caritas mit einem alten Mann im British Museum, London, die Mitte der 1620er-Jahre datierbar ist (Inv. Nr. 1895-9-15-706; Feder in Braun, braun laviert; 268 x 417 mm, siehe N. Turner und C. Plazzotta, Drawings by Guercino from British Collections, London 1991, S. 82, Nr. 54, und S. 240, Nr. 9). Ein Gemälde der Caritas, das höchstwahrscheinlich Guercinos Spätwerk zuzuordnen ist, wurde noch nicht aufgefunden. Es befand sich unter einer Gruppe von Bildern aus unterschiedlichen Perioden, die nach dem Tod des Künstlers in seinem Haus verblieb; das Bild ist beschrieben als „Una Carità con tre puttini, che scherzano mirabilmente“ (Malvasia 1841, II, S. 27). Eine hochformatige Komposition desselben Themas, in der die Caritas abermals einen Turban trägt, ist durch eine Zeichnung Guercinos im British Museum überliefert, die der Autor einmal Cesare Gennari zugeschrieben hat und von der er heute glaubt, dass sie von Guercino selbst stammt (Inv. Nr. 1884-3-8-9, schwarze Kreide, 224 x 193 mm, siehe Turner und Plazzotta 1991, S. 289, App. Nr. 120). Die Zeichnung im British Museum steht offensichtlich in Zusammenhang mit einem Gemälde, das allgemein Cesare Gennari zugeschrieben wird und sich in der Galleria Nazionale d’Arte Antica in Rom befindet. Es könnte sich gut um eine Werkstattkopie nach einem verlorenen Werk Guercinos handeln.
6 Salerno 1988, S. 325, Nr. 252; und Mahon 1991, S. 310/11, Nr. 117.
7 Mahon 1991, S. 310/11, Nr. 117.
8 Glasgow, Glasgow Museums, Burrell Collection: Inv. Nr. 36.41; Feder in Braun, braun laviert; 155 x 193 mm (R. Wenley, „Guercino in Glasgow“, Master Drawings, XLVIII, Nr. 2, 2010, S. 179–181, Abb. 1).
9 Zum Beispiel die Kompositionszeichnung in der Royal Library, Windsor Castle, Inv. Nr. 2681 (Mahon und Turner 1989, Nr. 110; N. Turner und C. Plazzotta, Drawings by Guercino from British Collections, London und Rom, S. 165/66, Nr. 136).
10 Wenley 2010, S. 180, Abb. 4. Siehe auch E. Negro, M. Pirondini und N. Roio, La scuola del Guercino, Modena 2004, S. 209 und S. 228, Abb. 374, wo eine Datierung des Gemäldes in die frühen 1660er-Jahre vorgeschlagen wird.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
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Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 17.10.2012 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 06.10. - 17.10.2012


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

Es können keine Kaufaufträge über Internet mehr abgegeben werden. Die Auktion befindet sich in Vorbereitung bzw. wurde bereits durchgeführt.