Lot Nr. 212


Lucio Fontana *


Lucio Fontana * - Zeitgenössische Kunst I

(Rosario di Santa Fe, Argentinien 1899–1968 Comabbio)
„Concetto Spaziale“, ATTESA, 1968, auf der Rückseite signiert, betitelt und bezeichnet: l. Fontana / „Concetto Spaziale“ / ATTESA / Oggi sono / proprio / demoraliz- / zato! ..., Wasserfarbe auf Leinwand, grün, 55 x 46 cm, gerahmt

Das Werk ist bei der Fondazione Lucio Fontana, Mailand, unter der Nr. 332/3 registriert. Ein Fotozertifikat liegt bei.

Provenienz:
Galleria Senatore, Mailand
dort von der Familie des jetzigen Besitzers erworben, Anfang der 70er Jahre.

Literatur:
Enrico Crispolti, Lucio Fontana: catalogue raisonné des peintures, sculptures et environnements spatiaux, Bd. II, Brüssel 1974, Nr. 68 T 86 S. 202 mit Abb.
Enrico Crispolti, Lucio Fontana: catalogo generale, Bd. II, Mailand 1986, Nr. 68 T 86 S. 693 mit Abb.
Enrico Crispolti, Lucio Fontana: catalogo ragionato di sculture, dipinti, ambientazioni, Bd. II, Mailand 2006, Nr. 68 T 86 S. 885 mit Abb.

„Ich habe eine Formel gefunden, die ich nicht noch weiter verbessern kann. Mir ist es gelungen, denen, die mein Werk betrachten, ein Gefühl von räumlicher Ruhe, von kosmischer Exaktheit und einer Gelassenheit gegenüber dem Unendlichen zu geben.“
Lucio Fontana zitiert in Gergio Bocca, „Il taglio è il taglio: Incontro con Lucio Fontana, il vincitore di Venezia“, Il Giorno, 6. Juli 1966.

„Erst einmal würde ich nicht von Bild sprechen; schon die Arbeiten, die ich ’46 machte, habe ich nie Bild genannt, sondern von Anfang an ‚Concetti spaziale‘ (Raumkonzepte), und zwar weil für mich die Malerei ganz und gar in der Idee liegt.
Die Leinwand diente mir und dient mir noch, um eine Idee zu dokumentieren. Was ich jetzt mache, sind Variationen zu meinen beiden grundlegenden Konzepten: das Loch und der Schnitt. In einer Zeit, in der die Leute von ‚Ebenen‘ sprachen: die Ebenen der Oberfläche, der Tiefe etc., war mein Durchlöchern ein radikaler Gestus, der den Raum des Bildes durchbrach und ausdrückte: jetzt sind wir frei zu tun, was wir wollen.
Der Raum des Bildes kann nicht in den Grenzen der Leinwand eingeschlossen, sondern muss auf den ganzen umgebenden Raum ausgedehnt werden.“
Lucio Fontana im Gespräch mit Daniele Palazzoli, Bit, Nr. 5, Mailand, Okt. – Nov. 1967*
*Zitiert nach: Jole de Sanna, Lucio Fontana Materie Raum Konzept, Klagenfurt: Ritter Verlag, 1995, S. 292.

Lucio Fontana: Die Unermesslichkeit des Raums
Lucio Fontana verfolgt in seinem Werk die grundlegende Idee einer Erneuerung der Kunst durch die Verschmelzung von Architektur, Malerei und Skulptur. Auf der Suche nach einer neuen Raumkunst, welche die Zweidimensionalität der Bildfläche überwindet, erweist er sich als einer der experimentierfreudigsten und innovativsten Künstler des 20. Jahrhunderts, der einen großen Einfluss auf jüngere Künstlergenerationen ausübt. 1949 entstehen die ersten perforierten Leinwände; rund ein Jahrzehnt später beginnt der Künstler mit seinen berühmten Schnitten in die Leinwand: brachiale Eingriffe in die meist monochrom bemalte Fläche mittels scharfer Messerschnitte.

Fontanas genialer Akt zielt darauf ab, den realen und den imaginierten Raum zu vereinen. Seine Schnitte sind unmittelbar, präzise wie ein chirurgischer Eingriff und geprägt von Schnelligkeit und manuellem Geschick. Vor der Schlitzung war die Bildfläche ein leerer, unmarkierter Raum, dessen Reinheit die Unverfrorenheit des Schnittes noch verstärkt. Er überführt die Bildflächen in eine neue Räumlichkeit, indem er in die Materie der geschlossenen Form eindringt. Das Durchdringen der Bildflächen macht den Stoff, das Körperhafte der Leinwand sinnlich erfahrbar, während das Licht in der Tiefe des Spalts verschwindet und sich hinter dem Bild ein neuer Raum öffnet, der die Imagination der Betrachterinnen herausfordert. Die Doppelnatur der Bildfläche tritt dadurch deutlich zum Vorschein, sie ist zugleich materieller Träger und immaterieller Erscheinungsort eines Abwesenden. Bezeichnenderweise etabliert Fontana die Dialektik zwischen Materialität und Immaterialität, indem er im selben Zuge sowohl den Illusionismus der traditionellen Malerei als auch den flachen Bildträger als das Kennzeichen der Moderne überwindet.

Die vorliegenden Bildwerke aus den Jahren 1964/65 (Los 211) und 1968 (Los 212) kennzeichnet die eindringliche und klare Qualität der späten Werke. Setzte Fontana seine ersten Schnitte meist orthogonal, in rhythmischen Folgen und auf polygene Bildfelder, so reduziert er die Ausführung hier auf einen nahezu senkrechten Einzelschnitt in der Mittelachse rechteckiger Bildflächen. Die leuchtenden Farbtöne, sowohl das strahlend grelle Pink als auch das satte Grün, weisen dabei erstaunliche Parallelen auf zu den weniger bekannten aber äußerst visionäreren Environments des Künstlers, in denen er mit Leuchtstoffröhren, Neons und UV-Licht experimentiert, um den Raum und seine Wahrnehmung zu modifizieren. Beispielhaft dafür steht Ambiente spaziale con neon, das Fontana 1967 am Stedelijk Museum in Amsterdam und später am Van Abbe Museum Eindhoven, den europäischen Stationen seiner großen Wanderausstellung im Museum of Modern Art New York, realisiert. Eine in S-Form gebogene rote Neonröhre durchquert einen mit rotem Stoff gänzlich ausgekleideten Raum. Für Fonti di energia, soffitto di neon per „Italia 61“ wiederum installierte er 1961 in Turin den Raum auf zahlreichen Ebenen horizontal durchschneidende blaue und grüne Neonröhren unter einem hohen schwarzen Himmel. Wie bei den Schnitten streben die Environments zur Einheit der Wahrnehmung während sich im Zusammenspiel von Farbe und Licht sowie Linie und Körper zugleich die Unermesslichkeit des Raums eröffnet.

„Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse“
Leonardo Da Vinci

16.05.2018 - 19:00

Erzielter Preis: **
EUR 539.800,-
Schätzwert:
EUR 400.000,- bis EUR 600.000,-

Lucio Fontana *


(Rosario di Santa Fe, Argentinien 1899–1968 Comabbio)
„Concetto Spaziale“, ATTESA, 1968, auf der Rückseite signiert, betitelt und bezeichnet: l. Fontana / „Concetto Spaziale“ / ATTESA / Oggi sono / proprio / demoraliz- / zato! ..., Wasserfarbe auf Leinwand, grün, 55 x 46 cm, gerahmt

Das Werk ist bei der Fondazione Lucio Fontana, Mailand, unter der Nr. 332/3 registriert. Ein Fotozertifikat liegt bei.

Provenienz:
Galleria Senatore, Mailand
dort von der Familie des jetzigen Besitzers erworben, Anfang der 70er Jahre.

Literatur:
Enrico Crispolti, Lucio Fontana: catalogue raisonné des peintures, sculptures et environnements spatiaux, Bd. II, Brüssel 1974, Nr. 68 T 86 S. 202 mit Abb.
Enrico Crispolti, Lucio Fontana: catalogo generale, Bd. II, Mailand 1986, Nr. 68 T 86 S. 693 mit Abb.
Enrico Crispolti, Lucio Fontana: catalogo ragionato di sculture, dipinti, ambientazioni, Bd. II, Mailand 2006, Nr. 68 T 86 S. 885 mit Abb.

„Ich habe eine Formel gefunden, die ich nicht noch weiter verbessern kann. Mir ist es gelungen, denen, die mein Werk betrachten, ein Gefühl von räumlicher Ruhe, von kosmischer Exaktheit und einer Gelassenheit gegenüber dem Unendlichen zu geben.“
Lucio Fontana zitiert in Gergio Bocca, „Il taglio è il taglio: Incontro con Lucio Fontana, il vincitore di Venezia“, Il Giorno, 6. Juli 1966.

„Erst einmal würde ich nicht von Bild sprechen; schon die Arbeiten, die ich ’46 machte, habe ich nie Bild genannt, sondern von Anfang an ‚Concetti spaziale‘ (Raumkonzepte), und zwar weil für mich die Malerei ganz und gar in der Idee liegt.
Die Leinwand diente mir und dient mir noch, um eine Idee zu dokumentieren. Was ich jetzt mache, sind Variationen zu meinen beiden grundlegenden Konzepten: das Loch und der Schnitt. In einer Zeit, in der die Leute von ‚Ebenen‘ sprachen: die Ebenen der Oberfläche, der Tiefe etc., war mein Durchlöchern ein radikaler Gestus, der den Raum des Bildes durchbrach und ausdrückte: jetzt sind wir frei zu tun, was wir wollen.
Der Raum des Bildes kann nicht in den Grenzen der Leinwand eingeschlossen, sondern muss auf den ganzen umgebenden Raum ausgedehnt werden.“
Lucio Fontana im Gespräch mit Daniele Palazzoli, Bit, Nr. 5, Mailand, Okt. – Nov. 1967*
*Zitiert nach: Jole de Sanna, Lucio Fontana Materie Raum Konzept, Klagenfurt: Ritter Verlag, 1995, S. 292.

Lucio Fontana: Die Unermesslichkeit des Raums
Lucio Fontana verfolgt in seinem Werk die grundlegende Idee einer Erneuerung der Kunst durch die Verschmelzung von Architektur, Malerei und Skulptur. Auf der Suche nach einer neuen Raumkunst, welche die Zweidimensionalität der Bildfläche überwindet, erweist er sich als einer der experimentierfreudigsten und innovativsten Künstler des 20. Jahrhunderts, der einen großen Einfluss auf jüngere Künstlergenerationen ausübt. 1949 entstehen die ersten perforierten Leinwände; rund ein Jahrzehnt später beginnt der Künstler mit seinen berühmten Schnitten in die Leinwand: brachiale Eingriffe in die meist monochrom bemalte Fläche mittels scharfer Messerschnitte.

Fontanas genialer Akt zielt darauf ab, den realen und den imaginierten Raum zu vereinen. Seine Schnitte sind unmittelbar, präzise wie ein chirurgischer Eingriff und geprägt von Schnelligkeit und manuellem Geschick. Vor der Schlitzung war die Bildfläche ein leerer, unmarkierter Raum, dessen Reinheit die Unverfrorenheit des Schnittes noch verstärkt. Er überführt die Bildflächen in eine neue Räumlichkeit, indem er in die Materie der geschlossenen Form eindringt. Das Durchdringen der Bildflächen macht den Stoff, das Körperhafte der Leinwand sinnlich erfahrbar, während das Licht in der Tiefe des Spalts verschwindet und sich hinter dem Bild ein neuer Raum öffnet, der die Imagination der Betrachterinnen herausfordert. Die Doppelnatur der Bildfläche tritt dadurch deutlich zum Vorschein, sie ist zugleich materieller Träger und immaterieller Erscheinungsort eines Abwesenden. Bezeichnenderweise etabliert Fontana die Dialektik zwischen Materialität und Immaterialität, indem er im selben Zuge sowohl den Illusionismus der traditionellen Malerei als auch den flachen Bildträger als das Kennzeichen der Moderne überwindet.

Die vorliegenden Bildwerke aus den Jahren 1964/65 (Los 211) und 1968 (Los 212) kennzeichnet die eindringliche und klare Qualität der späten Werke. Setzte Fontana seine ersten Schnitte meist orthogonal, in rhythmischen Folgen und auf polygene Bildfelder, so reduziert er die Ausführung hier auf einen nahezu senkrechten Einzelschnitt in der Mittelachse rechteckiger Bildflächen. Die leuchtenden Farbtöne, sowohl das strahlend grelle Pink als auch das satte Grün, weisen dabei erstaunliche Parallelen auf zu den weniger bekannten aber äußerst visionäreren Environments des Künstlers, in denen er mit Leuchtstoffröhren, Neons und UV-Licht experimentiert, um den Raum und seine Wahrnehmung zu modifizieren. Beispielhaft dafür steht Ambiente spaziale con neon, das Fontana 1967 am Stedelijk Museum in Amsterdam und später am Van Abbe Museum Eindhoven, den europäischen Stationen seiner großen Wanderausstellung im Museum of Modern Art New York, realisiert. Eine in S-Form gebogene rote Neonröhre durchquert einen mit rotem Stoff gänzlich ausgekleideten Raum. Für Fonti di energia, soffitto di neon per „Italia 61“ wiederum installierte er 1961 in Turin den Raum auf zahlreichen Ebenen horizontal durchschneidende blaue und grüne Neonröhren unter einem hohen schwarzen Himmel. Wie bei den Schnitten streben die Environments zur Einheit der Wahrnehmung während sich im Zusammenspiel von Farbe und Licht sowie Linie und Körper zugleich die Unermesslichkeit des Raums eröffnet.

„Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse“
Leonardo Da Vinci


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Zeitgenössische Kunst I
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 16.05.2018 - 19:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 05.05. - 16.05.2018


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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