Lot Nr. 12


Giacomo Balla *


Giacomo Balla * - Klassische Moderne

(Turin 1871–1958 Rom)
Primavera a Villa Borghese, ca. 1918, auf der Rückseite betitelt, signiert, Tempera, Pastell, Öl auf Naturleinwand, 186,5 x 107 cm, gerahmt

Wir danken Frau Elena Gigli für die freundliche Unterstützung bei der Katalogisierung dieses Werkes.

Provenienz:
Privatsammlung, Perugia 1997
Tornabuoni Arte, Florenz
Galleria Arte Centro, Mailand
Europäische Privatsammlung

Ausgestellt:
Padua, Giacomo Balla 1895–1911, Verso il Futurismo, kuratiert von M. Fagiolo dell’Arco, Palazzo Zabarella, 14. März – 28. Juni 1998, Ausst.-Kat. S. 55, mit Abb Nr. 7
Florenz, Maestri Contemporanei. Antologia scelta, 1999, Tornabuoni Arte, Dezember 1998, Ausst.-Kat. S. 25 mit Abb.

Im Jahr 1915 veröffentlichten Balla und Depero in Mailand das Manifest „Die Futuristische Rekonstruktion des Universums“, einen Vorschlag, der aus einer Provokation heraus entstanden war, und welcher einen deutlichen Ideenreichtum in Bezug auf Formen und Farben etablierte. „Dieser Vorschlag zielt auf eine totale Kunst ab, die danach strebt, alle Aspekte der Existenz durch eine radikale Transformation der Umgebung zu beeinflussen: von Möbeln bis hin zu Mode, vom Kino über das Theater, von Musik hin zum Tanz, von Werbeplakaten bis zum Design von Gegenständen.“
Das Manifest der Futuristischen Rekonstruktion änderte die Fahrtrichtung in der futuristischen Bewegung für immer und lenkte sie hin zu Aktivitäten, die rekonstruierend, beschwerlich und weit entfernt von der pars destruens der ersten Phase des Futurismus waren. 

Wir Futuristen, Balla und Depero, streben danach, diese totale Fusion zu realisieren, um das Universum zu rekonstruieren und es, in anderen Worten, durch eine vollkommene Neuerschaffung, fröhlicher zu machen. Wir werden dem Unsichtbaren, Unberührbaren und Unwägbaren Fleisch und Knochen verleihen. Wir werden die abstrakten Äquivalente aller Formen und aller Elemente des Universums finden; dann werden wir sie gemäß der Laune unserer Inspiration kombinieren, um plastische Komplexe zu bilden, die wir in Bewegung setzen werden. (Manifest „Die futuristische Rekonstruktion des Universums“)

Tatsächlich begann Balla selbst mit dem Haus Löwenstein 1912 in Düsseldorf und mit der Beteiligung an einem öffentlichen Gebäude - dem Bal Tic Tac 1921 in Rom. Er entwickelte Entwürfe für die Dekoration von Innenräumen, Projekte für Möbelstücke und Muster für Kleidungsstücke. Sie alle beinhalteten Dekorationen und konzentrierten sich auf lebhafte Farben und Formen, perfekt, um Schönheit zu generieren und den Alltag zu beleben. In einem Interview mit Enrico Santamaria 1920 sagte er „weil unsere Kunst vordergründig dekorativ ist, richten wir uns heute an die Kunst in ihrer Anwendung auf die Industrie. Die Art von Kunst bringt und den Massen viel näher und kann von allen verstanden und nachempfunden werden“.

1904 zog Balla mit seiner Frau nach Rom und von seinem Haus in der Via Parioli Nr. 6 malte er regelmäßig, was er sehen konnte, entweder vom Balkon seines Studios aus oder direkt vor der Tür des Gebäudes. Die Parkanlage Villa Borghese, durch die er oft während ausgedehnter Spaziergänge flanierte auf der Suche nach versteckten Orten oder unerwarteten Aussichten, taucht immer wieder in seinen Arbeiten aus dieser Periode auf.

Primavera a Villa Borghese (Frühling in der Villa Borghese) „ist ein Schlüsselstück, um das Puzzle von Giacomo Ballas Landschaftsmalerei, welche sich in drei Stadien entwickelte, zu rekonstruieren: 1) seine jugendlichen Studien im Art Nouveau Stil; 2) seine futuristische Erfahrung; 3) seine rezente Theorie der „Futuristischen Rekonstruktion des Universums“ [...] Zwei Stäbe öffnen und schließen die Leinwand, welche im Stil eines japanischen Kakejiku bemalt ist, wodurch Balla eine großartige Tradition aus der Übergangsperiode zwischen den Jahrhunderten neu belebt.

Was das Gemälde selbst anbelangt, zeigt es [...] zwei abstrakte Streifen in der oberen Hälfte und einen abstrakten Streifen in der unteren, der gleich lang ist wie die anderen beiden. Sie umrahmen drei geschwungene Bäume, welche das Feld mit den Bäumen vor seinem Haus umfassen, einen Vordergrund, auf dem Natur zu organisch-geometrischen Formen transformiert (sehr ähnlich wie bei Kandinskys Experimenten).
Letztlich ist es ein Endpunkt für jegliches prä-futuristisches und futuristisches Studium im Sinne der Futuristischen Rekonstruktion des Universums.“ (M. Fagiolo Dell’Arco, Maestri Contemporanei. Antologia scelta 1999, Tornabuoni Arte, Florenz 1999, S. 24)

Wenn die „jugendlichen Studien der Art Nouveau“ in der Stoffwahl für den Hintergrund erkennbar sind, so evozieren die hölzernen Streifen am oberen und unteren Ende mit ihren lebhaften Farben und plastischen Formen die Idee der Dynamik des Futurismus und unterstreichen die Zugehörigkeit des Künstlers zur Theorie der Futuristischen Rekonstruktion des Universums. Dies wird weiter deutlich in der Absicht, den zweidimensionalen Raum des Gemäldes zu überwinden.
Der Einfluss japanischer Kunst (auch eine Quelle der Inspiration des Art Déco) ist außerdem im Format der Arbeit erkennbar, mit seiner vertikalen Ausrichtung und auch der Motivwahl und der Art, wie das natürliche Element dargestellt wird. Die bildliche Darstellung der Natur ist tatsächlich der japanischen Nihonga-Technik mit Tuschfeder geschuldet. Diese Technik ermöglicht eine sehr breite Palette an Farbtönen durch die Verdünnung der Tusche und strebt nach einer Vereinfachung und Stilisierung natürlicher Formen durch das Aussparen von Überflüssigem. Ihr Ziel ist es, die Essenz natürlicher Motive darzustellen und den dynamischen Aspekt, der allem Natürlichen innewohnt - Eigenschaften, die sie mit dem Futurismus verbinden.

Bezugnehmend auf das zwanzig Jahre zuvor formulierte Konzept von Maurizio Fagiolo dell’Arco im Rahmen einer Ausstellungspräsentation in Padua, welche die prä-futuristische Periode des Künstlers untersuchte, erklärte Elena Gigli:

Die Villa Borghese repräsentierte für Balla dasselbe wie die Montagne Sainte-Victoire für Cézanne.

Ein Motiv also mit dem der Künstler in vielen seiner frühen Arbeiten experimentierte, angezogen von der Wahrheit der Natur, die sich hinter den Blättern eines Baumes versteckt, im Rieseln des Wassers, das in das Becken eines Brunnens fließt oder in den Schatten von Baumstämmen, welche das schillernde Licht des Himmels umrahmen.

„Die Villa Borghese repräsentierte für Balla dasselbe wie die Montagne Sainte-Victoire für Cézanne.“
E. Gigli

Experte: Alessandro Rizzi Alessandro Rizzi
+39-02-303 52 41

alessandro.rizzi@dorotheum.it

04.06.2019 - 17:00

Schätzwert:
EUR 300.000,- bis EUR 400.000,-

Giacomo Balla *


(Turin 1871–1958 Rom)
Primavera a Villa Borghese, ca. 1918, auf der Rückseite betitelt, signiert, Tempera, Pastell, Öl auf Naturleinwand, 186,5 x 107 cm, gerahmt

Wir danken Frau Elena Gigli für die freundliche Unterstützung bei der Katalogisierung dieses Werkes.

Provenienz:
Privatsammlung, Perugia 1997
Tornabuoni Arte, Florenz
Galleria Arte Centro, Mailand
Europäische Privatsammlung

Ausgestellt:
Padua, Giacomo Balla 1895–1911, Verso il Futurismo, kuratiert von M. Fagiolo dell’Arco, Palazzo Zabarella, 14. März – 28. Juni 1998, Ausst.-Kat. S. 55, mit Abb Nr. 7
Florenz, Maestri Contemporanei. Antologia scelta, 1999, Tornabuoni Arte, Dezember 1998, Ausst.-Kat. S. 25 mit Abb.

Im Jahr 1915 veröffentlichten Balla und Depero in Mailand das Manifest „Die Futuristische Rekonstruktion des Universums“, einen Vorschlag, der aus einer Provokation heraus entstanden war, und welcher einen deutlichen Ideenreichtum in Bezug auf Formen und Farben etablierte. „Dieser Vorschlag zielt auf eine totale Kunst ab, die danach strebt, alle Aspekte der Existenz durch eine radikale Transformation der Umgebung zu beeinflussen: von Möbeln bis hin zu Mode, vom Kino über das Theater, von Musik hin zum Tanz, von Werbeplakaten bis zum Design von Gegenständen.“
Das Manifest der Futuristischen Rekonstruktion änderte die Fahrtrichtung in der futuristischen Bewegung für immer und lenkte sie hin zu Aktivitäten, die rekonstruierend, beschwerlich und weit entfernt von der pars destruens der ersten Phase des Futurismus waren. 

Wir Futuristen, Balla und Depero, streben danach, diese totale Fusion zu realisieren, um das Universum zu rekonstruieren und es, in anderen Worten, durch eine vollkommene Neuerschaffung, fröhlicher zu machen. Wir werden dem Unsichtbaren, Unberührbaren und Unwägbaren Fleisch und Knochen verleihen. Wir werden die abstrakten Äquivalente aller Formen und aller Elemente des Universums finden; dann werden wir sie gemäß der Laune unserer Inspiration kombinieren, um plastische Komplexe zu bilden, die wir in Bewegung setzen werden. (Manifest „Die futuristische Rekonstruktion des Universums“)

Tatsächlich begann Balla selbst mit dem Haus Löwenstein 1912 in Düsseldorf und mit der Beteiligung an einem öffentlichen Gebäude - dem Bal Tic Tac 1921 in Rom. Er entwickelte Entwürfe für die Dekoration von Innenräumen, Projekte für Möbelstücke und Muster für Kleidungsstücke. Sie alle beinhalteten Dekorationen und konzentrierten sich auf lebhafte Farben und Formen, perfekt, um Schönheit zu generieren und den Alltag zu beleben. In einem Interview mit Enrico Santamaria 1920 sagte er „weil unsere Kunst vordergründig dekorativ ist, richten wir uns heute an die Kunst in ihrer Anwendung auf die Industrie. Die Art von Kunst bringt und den Massen viel näher und kann von allen verstanden und nachempfunden werden“.

1904 zog Balla mit seiner Frau nach Rom und von seinem Haus in der Via Parioli Nr. 6 malte er regelmäßig, was er sehen konnte, entweder vom Balkon seines Studios aus oder direkt vor der Tür des Gebäudes. Die Parkanlage Villa Borghese, durch die er oft während ausgedehnter Spaziergänge flanierte auf der Suche nach versteckten Orten oder unerwarteten Aussichten, taucht immer wieder in seinen Arbeiten aus dieser Periode auf.

Primavera a Villa Borghese (Frühling in der Villa Borghese) „ist ein Schlüsselstück, um das Puzzle von Giacomo Ballas Landschaftsmalerei, welche sich in drei Stadien entwickelte, zu rekonstruieren: 1) seine jugendlichen Studien im Art Nouveau Stil; 2) seine futuristische Erfahrung; 3) seine rezente Theorie der „Futuristischen Rekonstruktion des Universums“ [...] Zwei Stäbe öffnen und schließen die Leinwand, welche im Stil eines japanischen Kakejiku bemalt ist, wodurch Balla eine großartige Tradition aus der Übergangsperiode zwischen den Jahrhunderten neu belebt.

Was das Gemälde selbst anbelangt, zeigt es [...] zwei abstrakte Streifen in der oberen Hälfte und einen abstrakten Streifen in der unteren, der gleich lang ist wie die anderen beiden. Sie umrahmen drei geschwungene Bäume, welche das Feld mit den Bäumen vor seinem Haus umfassen, einen Vordergrund, auf dem Natur zu organisch-geometrischen Formen transformiert (sehr ähnlich wie bei Kandinskys Experimenten).
Letztlich ist es ein Endpunkt für jegliches prä-futuristisches und futuristisches Studium im Sinne der Futuristischen Rekonstruktion des Universums.“ (M. Fagiolo Dell’Arco, Maestri Contemporanei. Antologia scelta 1999, Tornabuoni Arte, Florenz 1999, S. 24)

Wenn die „jugendlichen Studien der Art Nouveau“ in der Stoffwahl für den Hintergrund erkennbar sind, so evozieren die hölzernen Streifen am oberen und unteren Ende mit ihren lebhaften Farben und plastischen Formen die Idee der Dynamik des Futurismus und unterstreichen die Zugehörigkeit des Künstlers zur Theorie der Futuristischen Rekonstruktion des Universums. Dies wird weiter deutlich in der Absicht, den zweidimensionalen Raum des Gemäldes zu überwinden.
Der Einfluss japanischer Kunst (auch eine Quelle der Inspiration des Art Déco) ist außerdem im Format der Arbeit erkennbar, mit seiner vertikalen Ausrichtung und auch der Motivwahl und der Art, wie das natürliche Element dargestellt wird. Die bildliche Darstellung der Natur ist tatsächlich der japanischen Nihonga-Technik mit Tuschfeder geschuldet. Diese Technik ermöglicht eine sehr breite Palette an Farbtönen durch die Verdünnung der Tusche und strebt nach einer Vereinfachung und Stilisierung natürlicher Formen durch das Aussparen von Überflüssigem. Ihr Ziel ist es, die Essenz natürlicher Motive darzustellen und den dynamischen Aspekt, der allem Natürlichen innewohnt - Eigenschaften, die sie mit dem Futurismus verbinden.

Bezugnehmend auf das zwanzig Jahre zuvor formulierte Konzept von Maurizio Fagiolo dell’Arco im Rahmen einer Ausstellungspräsentation in Padua, welche die prä-futuristische Periode des Künstlers untersuchte, erklärte Elena Gigli:

Die Villa Borghese repräsentierte für Balla dasselbe wie die Montagne Sainte-Victoire für Cézanne.

Ein Motiv also mit dem der Künstler in vielen seiner frühen Arbeiten experimentierte, angezogen von der Wahrheit der Natur, die sich hinter den Blättern eines Baumes versteckt, im Rieseln des Wassers, das in das Becken eines Brunnens fließt oder in den Schatten von Baumstämmen, welche das schillernde Licht des Himmels umrahmen.

„Die Villa Borghese repräsentierte für Balla dasselbe wie die Montagne Sainte-Victoire für Cézanne.“
E. Gigli

Experte: Alessandro Rizzi Alessandro Rizzi
+39-02-303 52 41

alessandro.rizzi@dorotheum.it


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Klassische Moderne
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 04.06.2019 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 25.05. - 04.06.2019