Lot Nr. 6


Süd-Niederländische/Niederrheinische Schule, um 1500


Süd-Niederländische/Niederrheinische Schule, um 1500 - Alte Meister I

Triptychon mit dem Jüngsten Gericht (Mitteltafel), der Verkündigung und der Geburt Christi mit Stiftern (innere Seitenflügel) und den Heiligen Cornelius und Hubertus (äußere Seitenflügel),
Öl auf Holz, 96 x 53,2 cm (Mitteltafel), 96 x 23,6 cm (Seitenflügel), gerahmt

Provenienz:
Schloss Plankenwarth, Österreich;
Auktion, Leo Schidlof’s Kunstauktionshaus, Wien, 5. November 1923, Lot 209 (als niederländisch, um 1525);
dort erworben durch den Großvater des jetzigen Besitzers (um 46.000.000 Kronen)

Ausgestellt:
Enschede, Rijksmuseum Twenthe, Leihgabe, 2012–2021

Literatur:
L. Décombe, Een Raadselachtig Oordeel, Dissertation (MS), 2006

Das vorliegende Triptychon, das nahezu ein ganzes Jahrhundert in derselben Familie verblieben ist, sticht aufgrund der Fülle und Vielfalt der in unterschiedlichen Malstilen ausgeführten Szenen ins Auge. Der Bogen spannt sich von archaischen Figuren des 15. Jahrhunderts für Christus, die Jungfrau Maria und den heiligen Johannes im oberen Teil der Mitteltafel zur Bosch’schen Anmutung der verdammten Seelen darunter bis hin zu Merkmalen des Antwerpener Manierismus und der Renaissance auf den Flügelinnen- bzw. Außenseiten.

Diese Mischung an Szenen und Stilrichtungen hat bei Experten in der Vergangenheit und Gegenwart für Verwirrung gesorgt und unterschiedlichste Vorschläge hervorgebracht, sowohl hinsichtlich der Schule als auch hinsichtlich der Nennung eines konkreten Meisters, dokumentiert durch die Korrespondenz der 1920er- und 1930er-Jahre zwischen dem verstorbenen Besitzer und zahlreichen Spezialisten. Die Einschätzungen reichen von „vermutlich Brüssel um 1525“, vorgeschlagen von Ludwig Baldass und bestätigt in einem Gutachten vom 11. Dezember 1923, zu „nicht niederländisch, vermutlich Niederrhein um 1520“, wie Max J. Friedländer bekräftigt hat; „Brügge, um 1520 und süddeutsch“, wie Juliana Daniels ausgeführt hat; und „Brabant, vermutlich Maastal“, wie G. J. Hoogewerff festgestellt hat. Weitere „Merkmale weisen auf Aertgen van Leyden“, wie J. Q. van Regteren Altena bemerkt hat. Die Korrespondenz wird dem Käufer übergeben (in Fotokopie).

Nach einer von Caroline van der Elst 2011/12 vorgenommenen umfassenden Restaurierung, die auch mit einer technischen Analyse mittels Infrarotreflektografie und einer dendrochronologischen Untersuchung der Eichentafel einherging, wird jetzt davon ausgegangen, dass das Triptychon in einer möglicherweise im Gebiet des Niederrheins oder in den östlichen Niederlanden angesiedelten Werkstatt ausgeführt wurde, und zwar in mehreren Phasen von einem Meister und seinen Gehilfen, wohingegen die äußeren Seitenflügeln zu einem späteren Zeitpunkt von anderer Hand gemalt wurden. Auf ihnen sind die Heiligen Cornelius und Hubertus dargestellt, die vor allem im Maastal, in den Ardennen und in Westfalen verehrt wurden.

Die Infrarotreflektografie hat insbesondere eine mit unterschiedlichen Zeichenmitteln und in unterschiedlichen Stilen ausgeführte weitläufige Unterzeichnung im gesamten Bereich des Triptychons zutage gebracht, was die Ausführung durch mehrere Hände belegt. Während die Figuren von Christus, Jungfrau Maria und heiligem Johannes der Mitteltafel mit schwarzer Tinte und in einer freieren, lockereren Zeichenweise ausgeführt wurden, zeigen sich im Bereich der Apostel eine schwächere, sorgfältigere Hand und ein anderes Zeichenmedium, wohingegen bei den Szenen darunter und auf den Flügeln eine locker ausgeführte Unterzeichnung zu erkennen ist (siehe Abb. 1).

Fritz Koreny hat beobachtet, dass die Unterzeichnung im unteren Teil der Mitteltafel stilistische Gemeinsamkeiten mit den Zeichnungen von Cornelis Kunst aufweist. Er macht zudem auf einen Holzschnitt mit der Versuchung des heiligen Antonius des Meisters J. Kock aufmerksam, dem das Motiv des von Teufeln fortgetragenen Heiligen entnommen scheint (siehe Abb. 2).

Die dendrochronologische Untersuchung der Eichentafeln durch Peter Klein hat ergeben, dass alle vier Bretter – die zwei der Mitteltafel und die beiden anderen der Flügel – von ein- und demselben Baum stammen, wobei der letzte Kernholzring aus dem Jahr 1469 datiert, was als frühestes Entstehungsjahr 1486 annehmen lässt. Tatsächlich scheinen die Mitteltafel und die Seitenflügel um 1500–1520 ausgeführt, während die äußeren Seitenflügel wohl um 1530–1540 entstanden sind. Die Infrarotreflektografie hat auch maßgebliche Veränderungen der Bildkomposition offenbart; so wurden die ursprünglich vorgesehenen gemalten Bögen der Mitteltafel und der Seitenflügel gegen einen azurblauen Himmel und Kolonnaden getauscht und in der Anbetungsszene die Putten durch den Ochsen und den Esel ersetzt sowie die Gewänder der Stifter prächtiger gestaltet.

Obgleich der ursprüngliche Anbringungsort des vorliegenden Triptychons heute nicht mehr bekannt ist, muss er für eine Privatkapelle der auf den Flügeln dargestellten Stifterfamilie bestimmt gewesen sein. Ihr wurde die christliche Vorstellung vor Augen geführt, dass Christus am Ende der Tage auf die Erde zurückkehren würde, um, wie das Markusevangelium (XXV: 31–46) berichtet, über die Lebenden und die Toten zu richten. Wie Craig Harbison ausführt (siehe C. Harbison, The Last Judgement in Sixteenth Century Northern Europe, 1976, S. 9), gilt das Jüngste Gericht als das letzte theologische Ereignis, durch das sich die himmlische Ordnung erfüllt. In dem vorliegenden Triptychon bildet das Jüngste Gericht die Mitteltafel, während die Verkündigung und Geburt Christi am Anfang der christlichen Heilslehre stehen. Die Komposition des Jüngsten Gerichts folgt dem archaischen mittelalterlichen Aufbau mit dem von der Jungfrau Maria und dem heiligen Johannes als Fürbittern flankierten Christus in der Glorie, wie man es von Tympanonskulpturen des 13. und 14. Jahrhunderts an der Fassade von Kathedralen kennt, etwa jener von Bourges, oder wie die Szene auch auf Stichen von Hans Wächtlin, Albrecht Dürer und Erhard Schön von 1508, 1510 bzw. 1518 dargestellt ist (siehe C. Harbison 1976, Abb. 12, 13 und 18). Im Zentrum erscheinen die Apostel mit den 24 Ältesten auf Wolken, wie in der Offenbarung beschrieben. Darunter befinden sich die Gesegneten und die Verdammten, die Letzteren umgeben von Teufeln und einer brennenden Festung, wie sie auch in dem um 1500 entstandenen Jüngsten Gericht von Hieronymus Bosch im Groeningemuseum in Brügge zu sehen sind. Der Tausch der ursprünglichen Bögen gegen den blauen Himmel deckt sich mit der Vorstellung, dass das Jüngste Gericht die ewige Ordnung des Kosmos visualisiert. Die betonte Vertikalität der Mittelszene unterstreicht diesen Gedanken.

Schloss Plankenwarth, von wo das Triptychon 1923 verkauft wurde, befindet sich in Sankt Oswald bei Graz in der Steiermark. Nach einer Phase des Verfalls wurde es von Ignaz von Scarpatetti erworben, der ein Renovierungsvorhaben in Angriff nahm und vermutlich auch das vorliegende Triptychon übernahm. Zur Geschichte von Schloss Plankenwarth siehe die Publikation von Mathilde Uhlirz, Schloss Plankenwarth und seine Besitzer (Graz 1916).

Die Vergleichsabbildungen finden Sie im Printkatalog.

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

08.06.2021 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 271.700,-
Schätzwert:
EUR 80.000,- bis EUR 120.000,-

Süd-Niederländische/Niederrheinische Schule, um 1500


Triptychon mit dem Jüngsten Gericht (Mitteltafel), der Verkündigung und der Geburt Christi mit Stiftern (innere Seitenflügel) und den Heiligen Cornelius und Hubertus (äußere Seitenflügel),
Öl auf Holz, 96 x 53,2 cm (Mitteltafel), 96 x 23,6 cm (Seitenflügel), gerahmt

Provenienz:
Schloss Plankenwarth, Österreich;
Auktion, Leo Schidlof’s Kunstauktionshaus, Wien, 5. November 1923, Lot 209 (als niederländisch, um 1525);
dort erworben durch den Großvater des jetzigen Besitzers (um 46.000.000 Kronen)

Ausgestellt:
Enschede, Rijksmuseum Twenthe, Leihgabe, 2012–2021

Literatur:
L. Décombe, Een Raadselachtig Oordeel, Dissertation (MS), 2006

Das vorliegende Triptychon, das nahezu ein ganzes Jahrhundert in derselben Familie verblieben ist, sticht aufgrund der Fülle und Vielfalt der in unterschiedlichen Malstilen ausgeführten Szenen ins Auge. Der Bogen spannt sich von archaischen Figuren des 15. Jahrhunderts für Christus, die Jungfrau Maria und den heiligen Johannes im oberen Teil der Mitteltafel zur Bosch’schen Anmutung der verdammten Seelen darunter bis hin zu Merkmalen des Antwerpener Manierismus und der Renaissance auf den Flügelinnen- bzw. Außenseiten.

Diese Mischung an Szenen und Stilrichtungen hat bei Experten in der Vergangenheit und Gegenwart für Verwirrung gesorgt und unterschiedlichste Vorschläge hervorgebracht, sowohl hinsichtlich der Schule als auch hinsichtlich der Nennung eines konkreten Meisters, dokumentiert durch die Korrespondenz der 1920er- und 1930er-Jahre zwischen dem verstorbenen Besitzer und zahlreichen Spezialisten. Die Einschätzungen reichen von „vermutlich Brüssel um 1525“, vorgeschlagen von Ludwig Baldass und bestätigt in einem Gutachten vom 11. Dezember 1923, zu „nicht niederländisch, vermutlich Niederrhein um 1520“, wie Max J. Friedländer bekräftigt hat; „Brügge, um 1520 und süddeutsch“, wie Juliana Daniels ausgeführt hat; und „Brabant, vermutlich Maastal“, wie G. J. Hoogewerff festgestellt hat. Weitere „Merkmale weisen auf Aertgen van Leyden“, wie J. Q. van Regteren Altena bemerkt hat. Die Korrespondenz wird dem Käufer übergeben (in Fotokopie).

Nach einer von Caroline van der Elst 2011/12 vorgenommenen umfassenden Restaurierung, die auch mit einer technischen Analyse mittels Infrarotreflektografie und einer dendrochronologischen Untersuchung der Eichentafel einherging, wird jetzt davon ausgegangen, dass das Triptychon in einer möglicherweise im Gebiet des Niederrheins oder in den östlichen Niederlanden angesiedelten Werkstatt ausgeführt wurde, und zwar in mehreren Phasen von einem Meister und seinen Gehilfen, wohingegen die äußeren Seitenflügeln zu einem späteren Zeitpunkt von anderer Hand gemalt wurden. Auf ihnen sind die Heiligen Cornelius und Hubertus dargestellt, die vor allem im Maastal, in den Ardennen und in Westfalen verehrt wurden.

Die Infrarotreflektografie hat insbesondere eine mit unterschiedlichen Zeichenmitteln und in unterschiedlichen Stilen ausgeführte weitläufige Unterzeichnung im gesamten Bereich des Triptychons zutage gebracht, was die Ausführung durch mehrere Hände belegt. Während die Figuren von Christus, Jungfrau Maria und heiligem Johannes der Mitteltafel mit schwarzer Tinte und in einer freieren, lockereren Zeichenweise ausgeführt wurden, zeigen sich im Bereich der Apostel eine schwächere, sorgfältigere Hand und ein anderes Zeichenmedium, wohingegen bei den Szenen darunter und auf den Flügeln eine locker ausgeführte Unterzeichnung zu erkennen ist (siehe Abb. 1).

Fritz Koreny hat beobachtet, dass die Unterzeichnung im unteren Teil der Mitteltafel stilistische Gemeinsamkeiten mit den Zeichnungen von Cornelis Kunst aufweist. Er macht zudem auf einen Holzschnitt mit der Versuchung des heiligen Antonius des Meisters J. Kock aufmerksam, dem das Motiv des von Teufeln fortgetragenen Heiligen entnommen scheint (siehe Abb. 2).

Die dendrochronologische Untersuchung der Eichentafeln durch Peter Klein hat ergeben, dass alle vier Bretter – die zwei der Mitteltafel und die beiden anderen der Flügel – von ein- und demselben Baum stammen, wobei der letzte Kernholzring aus dem Jahr 1469 datiert, was als frühestes Entstehungsjahr 1486 annehmen lässt. Tatsächlich scheinen die Mitteltafel und die Seitenflügel um 1500–1520 ausgeführt, während die äußeren Seitenflügel wohl um 1530–1540 entstanden sind. Die Infrarotreflektografie hat auch maßgebliche Veränderungen der Bildkomposition offenbart; so wurden die ursprünglich vorgesehenen gemalten Bögen der Mitteltafel und der Seitenflügel gegen einen azurblauen Himmel und Kolonnaden getauscht und in der Anbetungsszene die Putten durch den Ochsen und den Esel ersetzt sowie die Gewänder der Stifter prächtiger gestaltet.

Obgleich der ursprüngliche Anbringungsort des vorliegenden Triptychons heute nicht mehr bekannt ist, muss er für eine Privatkapelle der auf den Flügeln dargestellten Stifterfamilie bestimmt gewesen sein. Ihr wurde die christliche Vorstellung vor Augen geführt, dass Christus am Ende der Tage auf die Erde zurückkehren würde, um, wie das Markusevangelium (XXV: 31–46) berichtet, über die Lebenden und die Toten zu richten. Wie Craig Harbison ausführt (siehe C. Harbison, The Last Judgement in Sixteenth Century Northern Europe, 1976, S. 9), gilt das Jüngste Gericht als das letzte theologische Ereignis, durch das sich die himmlische Ordnung erfüllt. In dem vorliegenden Triptychon bildet das Jüngste Gericht die Mitteltafel, während die Verkündigung und Geburt Christi am Anfang der christlichen Heilslehre stehen. Die Komposition des Jüngsten Gerichts folgt dem archaischen mittelalterlichen Aufbau mit dem von der Jungfrau Maria und dem heiligen Johannes als Fürbittern flankierten Christus in der Glorie, wie man es von Tympanonskulpturen des 13. und 14. Jahrhunderts an der Fassade von Kathedralen kennt, etwa jener von Bourges, oder wie die Szene auch auf Stichen von Hans Wächtlin, Albrecht Dürer und Erhard Schön von 1508, 1510 bzw. 1518 dargestellt ist (siehe C. Harbison 1976, Abb. 12, 13 und 18). Im Zentrum erscheinen die Apostel mit den 24 Ältesten auf Wolken, wie in der Offenbarung beschrieben. Darunter befinden sich die Gesegneten und die Verdammten, die Letzteren umgeben von Teufeln und einer brennenden Festung, wie sie auch in dem um 1500 entstandenen Jüngsten Gericht von Hieronymus Bosch im Groeningemuseum in Brügge zu sehen sind. Der Tausch der ursprünglichen Bögen gegen den blauen Himmel deckt sich mit der Vorstellung, dass das Jüngste Gericht die ewige Ordnung des Kosmos visualisiert. Die betonte Vertikalität der Mittelszene unterstreicht diesen Gedanken.

Schloss Plankenwarth, von wo das Triptychon 1923 verkauft wurde, befindet sich in Sankt Oswald bei Graz in der Steiermark. Nach einer Phase des Verfalls wurde es von Ignaz von Scarpatetti erworben, der ein Renovierungsvorhaben in Angriff nahm und vermutlich auch das vorliegende Triptychon übernahm. Zur Geschichte von Schloss Plankenwarth siehe die Publikation von Mathilde Uhlirz, Schloss Plankenwarth und seine Besitzer (Graz 1916).

Die Vergleichsabbildungen finden Sie im Printkatalog.

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 08.06.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.05. - 08.06.2021


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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