Lot Nr. 54


Nicolas Régnier


Nicolas Régnier - Alte Meister I

(Maubeuge um 1588–1667 Venedig)
Brustbild eines Edelmanns als Aeneas mit einem goldenen Lorbeerzweig,
Öl auf Leinwand, 70 x 56,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Antelminelli, 17. Jahrhundert;
Weitergabe im Erbgang an den jetzigen Besitzer

Ausgestellt:
Sapporo, Hokkaido Museum of Art, 12. August – 14. Oktober 2019/Nagoya, Museum of Art, 26. Oktober – 15. Dezember 2019/Osaka, Abeno Harukas Museum of Art, 26. Dezember 2019 – 16. Februar 2020, Caravaggio. La verità dell’arte, Kat.-Nr. 38 (als Nicolas Régnier)

Literatur:
Caravaggio. La verità dell’arte, hg. von L. Ficacci, S. Osano, Ausstellungskatalog, 2019, Kat.-Nr. 38 (als Nicolas Régnier)

Wir danken Annick Lemoine, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes auf Grundlage einer Fotografie bestätigt hat.

Dargestellt ist ein junger Mann mit schulterlangem Haar und Spitzbart, der einen goldenen Lorbeerzweig in Händen hält. Die allegorische Bedeutung dieses Porträts wird durch die Geste des Dargestellten unterstrichen, mit der er den Zweig in Szene setzt, sowie durch die antikisierende Erscheinung, die sein roter Umhang ihm verleiht, während Züge und Haartracht auf eine Entstehungszeit Mitte des 17. Jahrhunderts weisen. Der Porträtierte stellt Aeneas dar, der den von Vergil in der Aeneis beschriebenen Ereignissen zufolge (VI: 136–147) auf Geheiß der Cumäischen Sibylle mit einem der Proserpina, der Göttin der Unterwelt, geweihten goldenen Lorbeerzweig, an den er mithilfe seiner Mutter Venus gelangt war, in die Unterwelt hinabgestiegen ist.

Das vorliegende Gemälde kann in Nicolas Régniers venezianische Periode datiert werden. Der Künstler verbrachte ab 1626 die zweite Lebenshälfte in Venedig, wo er eine florierende Werkstatt betrieb und geschäftliche wie künstlerische Bande knüpfte. Das vorliegende Gemälde ist mit einigen zwischen 1647 und 1660 entstandenen Werken vergleichbar, insbesondere mit dem Bildnis des Giovanni Paolo Widmann in einer venezianischen Privatsammlung (siehe A. Lemoine, Nicolas Régnier, Paris 2007, S. 292, Kat.-Nr. 117) und, hinsichtlich der Wiedergabe des Porträtierten im antikisierenden Kostüm, vor allem mit dem Paris in einer Bologneser Privatsammlung, den Annick Lemoine in die späten 1650er-Jahre datiert (siehe A. Lemoine 2007, S. 306, Kat.-Nr. 142).

Die Züge des Dargestellten werden durch Licht und tonale Abstufungen moduliert, wobei die rechte Seite im Schatten liegt. Der Porträtierte blickt dem Betrachter entgegen und tritt dadurch in einen Dialog mit dem Raum außerhalb des Bildes. Diesen illusionistischen Kunstgriff wendeten die nach dem Leben arbeitenden Nachfolger der Caravaggisten in Rom an. Die sogenannten Tenebristen bildeten in ihrer künstlerischen Reife typische Stilelemente aus, zu denen auch die Verwendung leuchtender, sinnlicher Farben gehörte, was die Aneignung der venezianischen Tradition der Spätrenaissance und ihre Weiterentwicklung im 17. Jahrhundert widerspiegelt.

Die Gesichtszüge des Dargestellten im Bildnis des Giovanni Paolo Widmann scheinen jenen des Protagonisten des vorliegenden Gemäldes zu ähneln, doch im durchdachteren Stil des vorliegenden Gemäldes und der Bildqualität steht es dem Paris – einem jungen Mann mit weichen, vollen Zügen, der dem Betrachter aus dem Bild heraus einen goldenen Apfel reicht und der sich damit derselben kompositorischen Lösung bedient wie unser Aeneas – sehr viel näher. Régnier hatte besagtes kompositorisches Mittel schon davor, in seiner römischen Zeit in Rom, herangezogen, wo er ab den frühen 1620er-Jahren im Kreis der Bentvueghels verkehrte.

Nach seinem Aufenthalt am Hof der Farnese in Parma, wo er im Jahr 1616 dokumentiert ist, erreichte Régnier um 1620 Rom, wo er urkundlich in der Pfarre von Sant’Andrea delle Fratte belegt ist; dort war er gemeinsam mit „Davide fiamengo pittore“, „Teodoro fiamengo“ und Giovanni Antonio de Clericis, einem Maler aus dem Piemont, ansässig (siehe A. Lemoine 2007, S. 61–67). Annick Lemoine hat die beiden Künstler als David de Haen und Dirk van Baburen identifiziert, die beide gemeinsam mit Régnier dem Kreis der Bentvueghels angehörten und die Protektion von Vincenzo Giustiniani genossen. Aufgrund der Leichtigkeit, mit der sie sich zwischen dem ausschweifenden Straßenleben und den Zwängen des Lebens in den Palästen der Aristokratie hin- und herbewegten, gehörten sie zu den originellsten und interessantesten Persönlichkeiten der römischen Kunstlandschaft der 1610er- und 1620er-Jahre. Damals brachte die caravaggistische Ader der Maler neue und überraschende Formen hervor, mit denen sie in das allegorische und intellektuelle Terrain der klassizistischen Maler vordrangen (siehe A. Lemoine, F. Cappelletti, Introduzione, in: Bassifondi del barocco, Ausstellungskatalog, Rom/Paris 2014/2015).

Hatte Régnier, wie es scheint, in Parma noch als Stallknecht gearbeitet, was nahelegen würde, dass er seinen Lebensunterhalt als freier Maler noch nicht zur Gänze bestreiten konnte, war sein künstlerisches Dasein in Rom bereits rundum gesichert. Spätestens 1622 hatte er nach seiner Ankunft Vincenzo Giustiniani kennengelernt, der seine Qualitäten als Maler zu schätzen wusste. Im 1638 erstellten Inventar von Giustinianis Sammlung sind neun Gemälde Régniers vermerkt – die größte Gruppe von Werken eines einzelnen Künstlers nach 15 Caravaggios und 13 Riberas. Nach seiner Abreise aus Rom, wo er sich im Umfeld des Palazzo Giustiniani sowohl eine realistische Malweise als auch eine moderne und innovative Sicht der Welt der Antike angeeignet hatte, ging der Künstler nach Venedig. Dort fand Régnier zu neuen Ausdrucksformen unter dem Eindruck der Neuerungen von Domenico Fetti und Johann Liss, woraus sich eine interessante stilistische Verbindung des Glanzes von Venedigs Vergangenheit mit den jüngsten Aspekten neuzeitlicher Kunst ergab.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

08.06.2021 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 235.100,-
Schätzwert:
EUR 120.000,- bis EUR 180.000,-

Nicolas Régnier


(Maubeuge um 1588–1667 Venedig)
Brustbild eines Edelmanns als Aeneas mit einem goldenen Lorbeerzweig,
Öl auf Leinwand, 70 x 56,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Antelminelli, 17. Jahrhundert;
Weitergabe im Erbgang an den jetzigen Besitzer

Ausgestellt:
Sapporo, Hokkaido Museum of Art, 12. August – 14. Oktober 2019/Nagoya, Museum of Art, 26. Oktober – 15. Dezember 2019/Osaka, Abeno Harukas Museum of Art, 26. Dezember 2019 – 16. Februar 2020, Caravaggio. La verità dell’arte, Kat.-Nr. 38 (als Nicolas Régnier)

Literatur:
Caravaggio. La verità dell’arte, hg. von L. Ficacci, S. Osano, Ausstellungskatalog, 2019, Kat.-Nr. 38 (als Nicolas Régnier)

Wir danken Annick Lemoine, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes auf Grundlage einer Fotografie bestätigt hat.

Dargestellt ist ein junger Mann mit schulterlangem Haar und Spitzbart, der einen goldenen Lorbeerzweig in Händen hält. Die allegorische Bedeutung dieses Porträts wird durch die Geste des Dargestellten unterstrichen, mit der er den Zweig in Szene setzt, sowie durch die antikisierende Erscheinung, die sein roter Umhang ihm verleiht, während Züge und Haartracht auf eine Entstehungszeit Mitte des 17. Jahrhunderts weisen. Der Porträtierte stellt Aeneas dar, der den von Vergil in der Aeneis beschriebenen Ereignissen zufolge (VI: 136–147) auf Geheiß der Cumäischen Sibylle mit einem der Proserpina, der Göttin der Unterwelt, geweihten goldenen Lorbeerzweig, an den er mithilfe seiner Mutter Venus gelangt war, in die Unterwelt hinabgestiegen ist.

Das vorliegende Gemälde kann in Nicolas Régniers venezianische Periode datiert werden. Der Künstler verbrachte ab 1626 die zweite Lebenshälfte in Venedig, wo er eine florierende Werkstatt betrieb und geschäftliche wie künstlerische Bande knüpfte. Das vorliegende Gemälde ist mit einigen zwischen 1647 und 1660 entstandenen Werken vergleichbar, insbesondere mit dem Bildnis des Giovanni Paolo Widmann in einer venezianischen Privatsammlung (siehe A. Lemoine, Nicolas Régnier, Paris 2007, S. 292, Kat.-Nr. 117) und, hinsichtlich der Wiedergabe des Porträtierten im antikisierenden Kostüm, vor allem mit dem Paris in einer Bologneser Privatsammlung, den Annick Lemoine in die späten 1650er-Jahre datiert (siehe A. Lemoine 2007, S. 306, Kat.-Nr. 142).

Die Züge des Dargestellten werden durch Licht und tonale Abstufungen moduliert, wobei die rechte Seite im Schatten liegt. Der Porträtierte blickt dem Betrachter entgegen und tritt dadurch in einen Dialog mit dem Raum außerhalb des Bildes. Diesen illusionistischen Kunstgriff wendeten die nach dem Leben arbeitenden Nachfolger der Caravaggisten in Rom an. Die sogenannten Tenebristen bildeten in ihrer künstlerischen Reife typische Stilelemente aus, zu denen auch die Verwendung leuchtender, sinnlicher Farben gehörte, was die Aneignung der venezianischen Tradition der Spätrenaissance und ihre Weiterentwicklung im 17. Jahrhundert widerspiegelt.

Die Gesichtszüge des Dargestellten im Bildnis des Giovanni Paolo Widmann scheinen jenen des Protagonisten des vorliegenden Gemäldes zu ähneln, doch im durchdachteren Stil des vorliegenden Gemäldes und der Bildqualität steht es dem Paris – einem jungen Mann mit weichen, vollen Zügen, der dem Betrachter aus dem Bild heraus einen goldenen Apfel reicht und der sich damit derselben kompositorischen Lösung bedient wie unser Aeneas – sehr viel näher. Régnier hatte besagtes kompositorisches Mittel schon davor, in seiner römischen Zeit in Rom, herangezogen, wo er ab den frühen 1620er-Jahren im Kreis der Bentvueghels verkehrte.

Nach seinem Aufenthalt am Hof der Farnese in Parma, wo er im Jahr 1616 dokumentiert ist, erreichte Régnier um 1620 Rom, wo er urkundlich in der Pfarre von Sant’Andrea delle Fratte belegt ist; dort war er gemeinsam mit „Davide fiamengo pittore“, „Teodoro fiamengo“ und Giovanni Antonio de Clericis, einem Maler aus dem Piemont, ansässig (siehe A. Lemoine 2007, S. 61–67). Annick Lemoine hat die beiden Künstler als David de Haen und Dirk van Baburen identifiziert, die beide gemeinsam mit Régnier dem Kreis der Bentvueghels angehörten und die Protektion von Vincenzo Giustiniani genossen. Aufgrund der Leichtigkeit, mit der sie sich zwischen dem ausschweifenden Straßenleben und den Zwängen des Lebens in den Palästen der Aristokratie hin- und herbewegten, gehörten sie zu den originellsten und interessantesten Persönlichkeiten der römischen Kunstlandschaft der 1610er- und 1620er-Jahre. Damals brachte die caravaggistische Ader der Maler neue und überraschende Formen hervor, mit denen sie in das allegorische und intellektuelle Terrain der klassizistischen Maler vordrangen (siehe A. Lemoine, F. Cappelletti, Introduzione, in: Bassifondi del barocco, Ausstellungskatalog, Rom/Paris 2014/2015).

Hatte Régnier, wie es scheint, in Parma noch als Stallknecht gearbeitet, was nahelegen würde, dass er seinen Lebensunterhalt als freier Maler noch nicht zur Gänze bestreiten konnte, war sein künstlerisches Dasein in Rom bereits rundum gesichert. Spätestens 1622 hatte er nach seiner Ankunft Vincenzo Giustiniani kennengelernt, der seine Qualitäten als Maler zu schätzen wusste. Im 1638 erstellten Inventar von Giustinianis Sammlung sind neun Gemälde Régniers vermerkt – die größte Gruppe von Werken eines einzelnen Künstlers nach 15 Caravaggios und 13 Riberas. Nach seiner Abreise aus Rom, wo er sich im Umfeld des Palazzo Giustiniani sowohl eine realistische Malweise als auch eine moderne und innovative Sicht der Welt der Antike angeeignet hatte, ging der Künstler nach Venedig. Dort fand Régnier zu neuen Ausdrucksformen unter dem Eindruck der Neuerungen von Domenico Fetti und Johann Liss, woraus sich eine interessante stilistische Verbindung des Glanzes von Venedigs Vergangenheit mit den jüngsten Aspekten neuzeitlicher Kunst ergab.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
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Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 08.06.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.05. - 08.06.2021


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