Lot Nr. 15


Adriaen Isenbrant und Werkstatt


(Antwerpen um 1485–1551 Brügge)
Madonna mit Kind und dem heiligen Bernhard von Clairvaux,
Öl auf Holz, 55,5 x 45 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, San Sebastian, bis 1947;
Privatsammlung Maria Esclasans (1875–1947), Barcelona;
Weitergabe im Erbgang innerhalb der Familie;
von dieser kürzlich durch den jetzigen Besitzer erworben

Literatur:
A. Velasco Gonzales, L’antiquària Maria Esclasans (1875–1947) i el comerç d’art antic a Barcelona, in: B. Bassegoda, I Domènech (Hg.), Agents del mercat artístic i colleccionistes. Nous estudis sobre el patrimoni artístic de Catalunya als segles XIX i XX, Barcelona 2017, S. 216 f., Abb. 17

Wir danken Till-Holger Borchert, der die Zuschreibung nach Prüfung des vorliegenden Gemäldes im Original bestätigt hat, für seine Hilfe bei der Katalogisierung des Lots.

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um ein subtiles und detailreiches Beispiel altniederländischer Malerei, das vermutlich während der letzten beiden Dekaden der Schaffenszeit des Künstlers in Brügge entstand und wahrscheinlich für den iberischen Markt bestimmt war. Die Komposition bezieht sich insbesondere auf ein vergleichbares Werk des Meisters, das die Madonna mit Kind in einer Nische darstellt und im Museo Lázaro Galdiano in Madrid aufbewahrt wird (vgl. M. J. Friedländer, Early Netherlandish Painting, Leiden 1974, Bd. XI, S. 87, Nr. 174a, Tafel 132). Da Isenbrant mit dem bekannten Brügger Maler Gérard David und seiner Werkstatt sowie mit Ambrosius Benson zusammenarbeitete, griff er bei seinen eigenen Kompositionen regelmäßig auf Davids Entwürfe zurück, wie die Figuren der Madonna und des Kindes im vorliegenden Werk verraten, die mit jenen in Davids im Prado in Madrid aufbewahrter Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (Inv.-Nr. P002643) verwandt sind. Isenbrant hatte wahrscheinlich Zugang zu Werkstattzeichnungen Davids oder zu Kopien von diesen. Sie waren vermutlich perforiert, um eine einfache Übertragung zu ermöglichen, zumal Isenbrants Figuren im Vergleich zu jenen Davids im Prado spiegelverkehrt dargestellt sind.

Rechts von der Gottesmutter kniet Paul-Bernard de Fontaine (um 1090–1153), bekannt als heiliger Bernhard von Clairvaux. Der aus einer burgundischen Adelsfamilie stammende Bernhard trat nach dem Tod seiner Mutter in den Zisterzienserorden ein und ist weithin als Gründer der Abtei bekannt, nach der der Heilige benannt ist. Als entschiedener Verfechter der Kreuzzüge spielte Bernhard eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung des Zisterzienserordens in ganz Europa und verhalf ihm zu großem religiösem Einfluss. Bernhard von Clairvaux wurde im Jahr 1174 von Papst Alexander III. heiliggesprochen.

Adriaen Isenbrant ließ sich im November 1510 als freier Meister in die Brügger Malergilde eintragen, für die er neunmal als Dekan und zweimal als Vorsitzender der Gilde fungierte. Er arbeitete im Auftrag, fertigte aber auch Werke für den in Brügge und Antwerpen aufkommenden Kunsthandel an und war für Agenten tätig, die seine Werke exportierten. Im Jahr 1520 beauftragte ihn die Stadtregierung von Brügge zusammen mit führenden Künstlern der Stadt mit der Ausschmückung des triumphalen Einzugs von Karl V. Isenbrant führte eine produktive Werkstatt; seine Gemälde erinnern an Werke von Jan van Eyck, Hans Memling und Gérard David sowie an Jan Gossaert und Albrecht Dürer. Zusammen mit David gehörte er zu den ersten Malern in Brügge, die das leonardeske Sfumato für Gesichter und Teile des Körpers einsetzten, wie es bei dem vorliegenden Werk zu bemerken ist. Dieses weist auch die typischen warmen Farben auf, die der Meister bevorzugte.

Technische Analyse von Gianluca Poldi

Der Bildträger besteht aus einer maximal einen Zentimeter starken Eichentafel, die später auf der Rückseite schwarz gestrichen wurde. Sie wurde rückseitig vermutlich schon früh entlang aller vier Seiten ausgedünnt, um in den Rahmen eingefügt werden zu können. Dies deckt sich mit der Tatsache, dass die Kanten der Vorderseite unbemalt sind, was auch den Schluss zulässt, dass das Gemälde noch seine Originalgröße aufweist.

Die unter Infrarotreflektografie zutage getretene Unterzeichnung ist bemerkenswert: Es handelt sich nicht um das Resultat einer Übertragung, sondern sie wurde freihändig mit schwarzer Kreide ausgeführt, umreißt die Konturen und korrigiert sie in manchen Fällen – etwa bei den Händen – auf der Suche nach der idealen Form. Auf die Unterzeichnung der Umrisse folgte das Schraffieren zwecks Studium und Festlegung der Schatten. Die Ausrichtung der Schraffuren ist typisch für einen rechtshändigen Maler. Eine bloß skizzierte, in der Malerei jedoch nicht ausgeführte Kette (vermutlich ein Rosenkranz) wurde dem Heiligen um das rechte Handgelenk gelegt. Die im Bereich der Figuren weit ausgeführte Zeichnung wird unterhalb der Architektur einfacher und linear, und beschränkt sich auf die geritzten perspektivisch ausgerichteten Bodenfliesen, wohingegen sie im Bereich der Landschaft, die vermutlich direkt gemalt wurde, ganz verschwindet.

Eine mittels Reflexionsspektroskopie durchgeführte nichtinvasive Untersuchung der Pigmente hat die Verwendung von Azurit festgestellt – mit Bleiweiß vermischt im Himmel sowie im Bereich der bläulichen Landschaft nahe des Horizonts, die, je näher sie an die Figuren heranrückt, nach und nach mit Grünspan (Kupferacetat) ausgeführt wurde: im Bereich der Bäume und der Wiese, auf der eine mit der Pinselspitze miniaturistisch gemalte Schafherde weidet, über die ein gegen einen Baumstamm gelehnter Hirte wacht.

Ein Rotlack auf Schildlausbasis kam beim Mantel der Gottesmutter zum Einsatz, während mit Bleiweiß vermischter Zinnober traditionsgemäß für die Hauttöne Verwendung fand. Beide Arten von Rotpigment finden sich auch in den Bodenfliesen. Das Geschick des Malers, kleine Details realistisch darzustellen, zeigt sich besonders in der Architektur mit ihren skulpturierten Elementen, darunter (oben links) die Figur eines Propheten, die über den unteren braunen Malschichten mit Bleizinngelb und Bleiweiß gehöht wurde. Abgesehen von der Nachahmung goldener Lichtspiegelungen in diesen Bereichen hat der Maler Gold an sich, nämlich Muschelgold, verwendet, um die aufwendigen Heiligenscheine der drei Figuren zu gestalten.

22.10.2024 - 18:00

Schätzwert:
EUR 60.000,- bis EUR 80.000,-

Adriaen Isenbrant und Werkstatt


(Antwerpen um 1485–1551 Brügge)
Madonna mit Kind und dem heiligen Bernhard von Clairvaux,
Öl auf Holz, 55,5 x 45 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, San Sebastian, bis 1947;
Privatsammlung Maria Esclasans (1875–1947), Barcelona;
Weitergabe im Erbgang innerhalb der Familie;
von dieser kürzlich durch den jetzigen Besitzer erworben

Literatur:
A. Velasco Gonzales, L’antiquària Maria Esclasans (1875–1947) i el comerç d’art antic a Barcelona, in: B. Bassegoda, I Domènech (Hg.), Agents del mercat artístic i colleccionistes. Nous estudis sobre el patrimoni artístic de Catalunya als segles XIX i XX, Barcelona 2017, S. 216 f., Abb. 17

Wir danken Till-Holger Borchert, der die Zuschreibung nach Prüfung des vorliegenden Gemäldes im Original bestätigt hat, für seine Hilfe bei der Katalogisierung des Lots.

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um ein subtiles und detailreiches Beispiel altniederländischer Malerei, das vermutlich während der letzten beiden Dekaden der Schaffenszeit des Künstlers in Brügge entstand und wahrscheinlich für den iberischen Markt bestimmt war. Die Komposition bezieht sich insbesondere auf ein vergleichbares Werk des Meisters, das die Madonna mit Kind in einer Nische darstellt und im Museo Lázaro Galdiano in Madrid aufbewahrt wird (vgl. M. J. Friedländer, Early Netherlandish Painting, Leiden 1974, Bd. XI, S. 87, Nr. 174a, Tafel 132). Da Isenbrant mit dem bekannten Brügger Maler Gérard David und seiner Werkstatt sowie mit Ambrosius Benson zusammenarbeitete, griff er bei seinen eigenen Kompositionen regelmäßig auf Davids Entwürfe zurück, wie die Figuren der Madonna und des Kindes im vorliegenden Werk verraten, die mit jenen in Davids im Prado in Madrid aufbewahrter Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (Inv.-Nr. P002643) verwandt sind. Isenbrant hatte wahrscheinlich Zugang zu Werkstattzeichnungen Davids oder zu Kopien von diesen. Sie waren vermutlich perforiert, um eine einfache Übertragung zu ermöglichen, zumal Isenbrants Figuren im Vergleich zu jenen Davids im Prado spiegelverkehrt dargestellt sind.

Rechts von der Gottesmutter kniet Paul-Bernard de Fontaine (um 1090–1153), bekannt als heiliger Bernhard von Clairvaux. Der aus einer burgundischen Adelsfamilie stammende Bernhard trat nach dem Tod seiner Mutter in den Zisterzienserorden ein und ist weithin als Gründer der Abtei bekannt, nach der der Heilige benannt ist. Als entschiedener Verfechter der Kreuzzüge spielte Bernhard eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung des Zisterzienserordens in ganz Europa und verhalf ihm zu großem religiösem Einfluss. Bernhard von Clairvaux wurde im Jahr 1174 von Papst Alexander III. heiliggesprochen.

Adriaen Isenbrant ließ sich im November 1510 als freier Meister in die Brügger Malergilde eintragen, für die er neunmal als Dekan und zweimal als Vorsitzender der Gilde fungierte. Er arbeitete im Auftrag, fertigte aber auch Werke für den in Brügge und Antwerpen aufkommenden Kunsthandel an und war für Agenten tätig, die seine Werke exportierten. Im Jahr 1520 beauftragte ihn die Stadtregierung von Brügge zusammen mit führenden Künstlern der Stadt mit der Ausschmückung des triumphalen Einzugs von Karl V. Isenbrant führte eine produktive Werkstatt; seine Gemälde erinnern an Werke von Jan van Eyck, Hans Memling und Gérard David sowie an Jan Gossaert und Albrecht Dürer. Zusammen mit David gehörte er zu den ersten Malern in Brügge, die das leonardeske Sfumato für Gesichter und Teile des Körpers einsetzten, wie es bei dem vorliegenden Werk zu bemerken ist. Dieses weist auch die typischen warmen Farben auf, die der Meister bevorzugte.

Technische Analyse von Gianluca Poldi

Der Bildträger besteht aus einer maximal einen Zentimeter starken Eichentafel, die später auf der Rückseite schwarz gestrichen wurde. Sie wurde rückseitig vermutlich schon früh entlang aller vier Seiten ausgedünnt, um in den Rahmen eingefügt werden zu können. Dies deckt sich mit der Tatsache, dass die Kanten der Vorderseite unbemalt sind, was auch den Schluss zulässt, dass das Gemälde noch seine Originalgröße aufweist.

Die unter Infrarotreflektografie zutage getretene Unterzeichnung ist bemerkenswert: Es handelt sich nicht um das Resultat einer Übertragung, sondern sie wurde freihändig mit schwarzer Kreide ausgeführt, umreißt die Konturen und korrigiert sie in manchen Fällen – etwa bei den Händen – auf der Suche nach der idealen Form. Auf die Unterzeichnung der Umrisse folgte das Schraffieren zwecks Studium und Festlegung der Schatten. Die Ausrichtung der Schraffuren ist typisch für einen rechtshändigen Maler. Eine bloß skizzierte, in der Malerei jedoch nicht ausgeführte Kette (vermutlich ein Rosenkranz) wurde dem Heiligen um das rechte Handgelenk gelegt. Die im Bereich der Figuren weit ausgeführte Zeichnung wird unterhalb der Architektur einfacher und linear, und beschränkt sich auf die geritzten perspektivisch ausgerichteten Bodenfliesen, wohingegen sie im Bereich der Landschaft, die vermutlich direkt gemalt wurde, ganz verschwindet.

Eine mittels Reflexionsspektroskopie durchgeführte nichtinvasive Untersuchung der Pigmente hat die Verwendung von Azurit festgestellt – mit Bleiweiß vermischt im Himmel sowie im Bereich der bläulichen Landschaft nahe des Horizonts, die, je näher sie an die Figuren heranrückt, nach und nach mit Grünspan (Kupferacetat) ausgeführt wurde: im Bereich der Bäume und der Wiese, auf der eine mit der Pinselspitze miniaturistisch gemalte Schafherde weidet, über die ein gegen einen Baumstamm gelehnter Hirte wacht.

Ein Rotlack auf Schildlausbasis kam beim Mantel der Gottesmutter zum Einsatz, während mit Bleiweiß vermischter Zinnober traditionsgemäß für die Hauttöne Verwendung fand. Beide Arten von Rotpigment finden sich auch in den Bodenfliesen. Das Geschick des Malers, kleine Details realistisch darzustellen, zeigt sich besonders in der Architektur mit ihren skulpturierten Elementen, darunter (oben links) die Figur eines Propheten, die über den unteren braunen Malschichten mit Bleizinngelb und Bleiweiß gehöht wurde. Abgesehen von der Nachahmung goldener Lichtspiegelungen in diesen Bereichen hat der Maler Gold an sich, nämlich Muschelgold, verwendet, um die aufwendigen Heiligenscheine der drei Figuren zu gestalten.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 22.10.2024 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 12.10. - 22.10.2024