Mitarbeiter* des Jacopo Carucci, gen. Pontormo
(Pontormo 1494–1557 Florenz)
Madonna mit Kind – Madonna del Libro,
undeutlich datiert rechts oben auf dem Buch (?),
Öl auf Holz, 122,7 x 103 cm, ungerahmt
*Gemeint ist ein Werk, das im unmittelbaren Einflussbereich des Meisters geschaffen wurde.
Provenienz:
Privatsammlung, Schweiz
Die Komposition des vorliegenden Gemäldes, bekannt als Madonna del Libro, ist eine der am meisten gepriesenen nicht nur innerhalb von Pontormos künstlerischem Schaffen, sondern in der florentinischen Kunst des Cinquecento im Allgemeinen. Dennoch liegen die Ursprünge der Komposition weitgehend im Dunkeln, und der ursprüngliche Prototyp gilt als verloren.
In der zweiten Auflage seiner Viten (vgl. G. Vasari, Le Vite de’ più eccellenti pittori, scultori et architetti, 1568, hg. von G. Milanesi, Bd. VI, S. 279 f.) erwähnt Vasari mehrere Madonnen von der Hand Pontormos, ohne sie im Detail zu beschreiben. Laut Vasari schenkte Pontormo eines dieser Gemälde einem Freund, einem Baumeister namens Rossino, das später in der Sammlung von Ottaviano de’ Medici verzeichnet wurde (vgl. A. Nesi, Uno studio sulla „Madonna del libro“ del Pontormo, Florenz 2010).
Verschiedene Fassungen des vorliegenden Gemäldes wurden als Pontormos verschollenes Original angesehen. 1951 schlug Roberto Longhi vor, Pontormos Prototyp als die Madonna mit Kind (Öl auf Holz, 125 x 105 cm) in einer Privatsammlung in Florenz zu identifizieren, die in der Ausstellung Fontainebleau e la Maniera Italiana (hg. von F. Bologna und R. Causa, Neapel 1952, S. 9) zu sehen war. John Shearman hielt 1983 die heute in der Royal Collection in Hampton Court befindliche Fassung (Öl auf Holz, 122 x 102,5 cm) für das Original (The Early Italian Pictures in the Collection of Her Majesty the Queen, Cambridge 1983, S. 201 f.). In seiner Monografie von 1994 betrachtete Philippe Costamagna Pontormos Originalvorlage als verloren, doch 2003 sah er in einem Werk im Ovalformat (Öl auf Holz, 80,7 x 64,1 cm; Sotheby’s, New York, 23. Januar 2003, Lot 37) das vermisste Original, das sich heute in der Yale University Art Gallery befindet (Inv.-Nr. 2006.111.1 – von Pontormo um 1545/46 nicht vollendet und später im Ovalformat zugeschnitten).
Für Pontormos Madonna del Libro wurden unterschiedliche Entstehungszeiten erwogen. Die Komposition bezieht sich auf Werke Michelangelos. Es ist bekannt, dass die beiden Künstler in den 1530er-Jahren eng miteinander verbunden waren. Tatsächlich schlug Michelangelo Pontormo 1531 vor, seinen Karton zu Noli me Tangere als Gemälde für Alfonso d’Avalos umzusetzen, und es wird angenommen, dass es sich bei diesem Werk um jene Tafel handelt, die in der Casa Buonarroti in Florenz (Inv. 1890 Nr. 6307) aufbewahrt wird. Man kennt jedoch auch eine weitere Version in einer Privatsammlung in der Lombardei (vgl. D. Geronimus, ,A More Loving and Constant Heart‘: Vittoria Colonna, Alfonso d’Avalos, Michelangelo and the Complicated History of Pontormo’s ,Noli me tangere‘, in: V. Cox, S. McHugh (Hg.), Vittoria Colonna. Poetry, Religion, Art, Impact, Amsterdam 2022, S. 233).
Die Komposition zu Noli me tangere teilt mehrere Bildelemente mit den bekannten Fassungen der Madonna del Libro: den Faltenwurf des Kleides der Madonna, die Farbigkeit und die geometrische angelegte Architektur im Hintergrund. Zu den weiteren Werken aus dieser Schaffensperiode Pontormos gehören die Madonna mit Kind und Johannes dem Täufer in den Uffizien (Inv. 1890 Nr. 4347) und der Heilige Hieronymus im Landesmuseum Hannover (Inv.-Nr. KM 132), die beide um 1529/1530 datiert werden und vermutlich aufgrund der Belagerung von Florenz durch Kaiser Karl V. unvollendet blieben.
Die Annahme, dass es sich bei der Madonna del Libro um das Gemälde handelt, das Pontormo dem Baumeister Rossino schenkte, der laut Vasari dessen Haus renoviert hatte, wird durch ein Dokument aus dem cadastre von Florenz aus dem Jahr 1534 gestützt, aus dem hervorgeht, dass am Haus des Künstlers zu dieser Zeit Renovierungsarbeiten vorgenommen wurden (vgl. J. Cox-Rearick, S. J. Freedberg, A Pontormo (Partly) Recovered, in: The Burlington Magazine, September 1983, Bd. 125, Nr. 966, S. 522).
Die vorliegende Madonna mit Kind zeichnet sich durch eine hohe malerische Qualität aus und ist stark mit Pontormos Werken der Reifezeit verwandt, wie die sorgfältige Modellierung des Inkarnats, die Faltenwürfe, die leuchtenden Farben sowie die gekonnte Unterzeichnung belegen. Es ist daher möglich, dass der Künstler eng mit Pontormos innerem Kreis verbunden war und Zugang zu seinen Vorlagen und Werkstattmaterialien hatte. Außerdem sind die Maße der Tafel fast identisch mit jenen des oben erwähnten Gemäldes in Hampton Court, während viele andere bekannte Versionen kleiner sind.
Die Komposition greift die Ikonografie der Demutsmadonna auf, die wahrscheinlich auf Simone Martini zurückgeht und später in der Toskana weit verbreitet war. Die Madonna ist auf dem Boden sitzend dargestellt, ohne Thron, Heiligenschein oder andere Symbole, die sie als Mutter Jesu ausweisen. Im Hintergrund ist der heilige Josef bei seiner Arbeit als Zimmermann zu sehen, während der junge Johannes der Täufer ihm einen Korb mit Kirschen reicht, die die Passion Christi symbolisieren. In anderen Fassungen dieser Komposition variieren die Gegenstände im Korb: Manchmal sind Nägel oder Trauben zu sehen. Die weibliche Figur im Hintergrund, die ein Buch in der Hand hält, kann als heilige Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer, identifiziert werden.
Die Stadtlandschaft im Hintergrund ist ebenfalls sehr auffällig. Es wurde vorgeschlagen, dass der heute zerstörte Glockenturm der Florentiner Kirche San Pier Maggiore mit umliegenden Gebäuden dargestellt ist (vgl. Cox-Rearick/Freedberg 1983, S. 527, Anm. 34).
Technische Analyse von Gianluca Poldi
Das Gemälde ist auf einer etwa 4 cm starken Holztafel gemalt und weist keilförmige Verstrebungen von trapezförmigem Querschnitt im florentinischen Stil auf. Der Bildträger wurde ausgedünnt; Spuren eines weißen Kreidegrunds zeigen sich entlang aller vier Seiten. Der hölzerne Bildträger lässt rückseitig noch Spuren eines Hobels oder Meißels erkennen. Der Röntgenuntersuchung zufolge scheint die Tafel aus drei vertikal zusammengefügten Teilen zu bestehen. Die Tafel ist sehr gut erhalten und weist wenige Spuren alter Wurmlöcher auf.
Die bemalte Oberfläche ist insgesamt gut erhalten, bis auf einen kleinen Verlust des Originalmaterials oben in der Mitte und einen minimalen Verlust am unteren Bildrand. In diesen und ein paar anderen Bereichen sind Retuschen zu sehen, darunter einige Schatten im roten Gewand der Madonna.
Die in drei Wellenlängenbereichen durchgeführte Infrarotreflektografie bringt eine dünne, kaum sichtbare Unterzeichnung entlang der Umrisse der Figuren zutage, die auch die Falten des Gewandes der Madonna erfasst. Sie geht einher mit einer schraffierten Unterzeichnung, die vor allem zur Festlegung der Schatten im roten Gewand der Madonna dient, aber auch an ihrem Hals sowie den Beinen des Kindes und möglicherweise stellenweise auch in dessen Gesicht zu beobachten ist. Die Schraffuren muten interessant an: feine, kurze Striche, gesetzt in eher weiten Abständen und ohne fixe Ausrichtung, ähnlich jenen, die sich bisweilen in Werken Pontormos finden, etwa bei der Madonna mit Kind und Johannesknaben in den Uffizien (um 1530) oder – auch hinsichtlich Ausführung und Farbton – bei den Figuren der freskierten Verkündigung (um 1527) in der Capponi-Kapelle in Santa Felicita in Florenz.
Ein weiteres Merkmal, das an die Technik bestimmter Werke Pontormos erinnert, sind einige schraffierte und in unterschiedliche Richtungen verlaufende Pinselstriche in der Art des scomposto. Sie sind in den Infrarotbildern besser in den dunklen Bereichen erkennbar. Der einzige Bereich, in dem eine Freihandzeichnung mit dem Pinsel zu sehen ist, ist das Haar der Madonna entlang der rechten Gesichtshälfte: teils Unterzeichnung, teils Malerei. Abgesehen davon wurden bei der Infrarot- und Röntgenuntersuchung keine Veränderungen festgestellt, was darauf hindeutet, dass der ursprünglichen Vorzeichnung sorgfältig gefolgt wurde.
Die Malerei ist, wie auch mikroskopische Untersuchungen ergeben haben, von bemerkenswerter Qualität und zeigt ungewöhnliche Pigmentschichten und -mischungen, die mittels Reflexionsspektrometrie (vis-RS) nachgewiesen werden konnten.
Ultramarinblau wurde für den blauen Schleier der Madonna verwendet, der auf einer rosafarbenen Grundierung aus Rotlack und Zinnober, vermischt mit Bleiweiß, gemalt wurde. In den Schatten wurde der Mischung vermutlich ein schwarzes Pigment hinzugefügt. Die dunkelbraune Farbe des Himmels ist auf die Verwendung von Smalte zurückzuführen, die sich später aufgrund der Wechselwirkung zwischen Pigment und Öl verfärbt hat. Das gleiche Pigment und damit das gleiche Problem finden sich bei Josefs blaugrau-bräunlichem Gewand im Hintergrund rechts. Das verfärbte Smalteblau findet sich auch im jetzt nahezu schwarzen Mantel der Madonna zusammen mit einem roten (Zinnober) und einem schwarzen Pigment, welches vermutlich verwendet wurde, um den Farbton dunkel zu halten und ihn von jenem des Schleiers zu unterscheiden. Abgedunkelter Grünspan kam in den Ärmeln der Madonna zum Einsatz, während ihr rotes Gewand aus Zinnober und einem karminbasierten Rotlack besteht, der in den lasierten Schattenzonen naturgemäß vermehrt vorkommt. Für die Hauttöne wurde eine Mischung aus Bleiweiß, Zinnober und größeren Körnern Rotlack in unterschiedlichen Anteilen verwendet. Der Grauton der Buchseiten, die laut IR- und UV-Untersuchungen keinen Text enthalten, wurde durch die Verwendung von Azurit in Kombination mit braunen Ockertönen, Anteilen von Schwarz, Zinnober und schwarzem Pigment erzielt. Der vorbereitende Malgrund ist braun.
Die Zeichen am oberen Rand des Büchleins (womöglich ein Stundenbuch), das die durch das Stadttor tretende Frauengestalt in der Hand hält, könnten als Jahreszahl „15(6?)3“ gelesen werden. Ein Gemälde desselben Bildthemas, das im Museum of Fine Arts in Boston aufbewahrt wird, ist mit 1561 datiert; im vorliegenden Fall ist die Datierung jedoch nicht so einfach zu bestimmen, da es hier in diesem Bereich zwei Lagen schwarzer Symbole gibt, die Schrift andeuten. Die erste Lage ist mit einer weißen Lasur bedeckt, auf die abermals Schriftzeichen gesetzt wurden. Die beiden äußeren Ziffern/Zahlen der vermuteten Jahreszahl sind mit schwarzem Pigment ausgeführt, während die beiden mittleren grau sind und zur teilweise mit Bleiweiß überzogenen ersten Lage gehören. Unter dem Mikroskop scheint es sich eher um eine simulierte Datumsangabe als um einen echten chronologischen Bezug zu handeln.
Experte: Mark MacDonnell
Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403
old.masters@dorotheum.at
22.10.2024 - 18:00
- Schätzwert:
-
EUR 300.000,- bis EUR 400.000,-
Lot beobachten Beobachten beenden
Mitarbeiter* des Jacopo Carucci, gen. Pontormo
(Pontormo 1494–1557 Florenz)
Madonna mit Kind – Madonna del Libro,
undeutlich datiert rechts oben auf dem Buch (?),
Öl auf Holz, 122,7 x 103 cm, ungerahmt
*Gemeint ist ein Werk, das im unmittelbaren Einflussbereich des Meisters geschaffen wurde.
Provenienz:
Privatsammlung, Schweiz
Die Komposition des vorliegenden Gemäldes, bekannt als Madonna del Libro, ist eine der am meisten gepriesenen nicht nur innerhalb von Pontormos künstlerischem Schaffen, sondern in der florentinischen Kunst des Cinquecento im Allgemeinen. Dennoch liegen die Ursprünge der Komposition weitgehend im Dunkeln, und der ursprüngliche Prototyp gilt als verloren.
In der zweiten Auflage seiner Viten (vgl. G. Vasari, Le Vite de’ più eccellenti pittori, scultori et architetti, 1568, hg. von G. Milanesi, Bd. VI, S. 279 f.) erwähnt Vasari mehrere Madonnen von der Hand Pontormos, ohne sie im Detail zu beschreiben. Laut Vasari schenkte Pontormo eines dieser Gemälde einem Freund, einem Baumeister namens Rossino, das später in der Sammlung von Ottaviano de’ Medici verzeichnet wurde (vgl. A. Nesi, Uno studio sulla „Madonna del libro“ del Pontormo, Florenz 2010).
Verschiedene Fassungen des vorliegenden Gemäldes wurden als Pontormos verschollenes Original angesehen. 1951 schlug Roberto Longhi vor, Pontormos Prototyp als die Madonna mit Kind (Öl auf Holz, 125 x 105 cm) in einer Privatsammlung in Florenz zu identifizieren, die in der Ausstellung Fontainebleau e la Maniera Italiana (hg. von F. Bologna und R. Causa, Neapel 1952, S. 9) zu sehen war. John Shearman hielt 1983 die heute in der Royal Collection in Hampton Court befindliche Fassung (Öl auf Holz, 122 x 102,5 cm) für das Original (The Early Italian Pictures in the Collection of Her Majesty the Queen, Cambridge 1983, S. 201 f.). In seiner Monografie von 1994 betrachtete Philippe Costamagna Pontormos Originalvorlage als verloren, doch 2003 sah er in einem Werk im Ovalformat (Öl auf Holz, 80,7 x 64,1 cm; Sotheby’s, New York, 23. Januar 2003, Lot 37) das vermisste Original, das sich heute in der Yale University Art Gallery befindet (Inv.-Nr. 2006.111.1 – von Pontormo um 1545/46 nicht vollendet und später im Ovalformat zugeschnitten).
Für Pontormos Madonna del Libro wurden unterschiedliche Entstehungszeiten erwogen. Die Komposition bezieht sich auf Werke Michelangelos. Es ist bekannt, dass die beiden Künstler in den 1530er-Jahren eng miteinander verbunden waren. Tatsächlich schlug Michelangelo Pontormo 1531 vor, seinen Karton zu Noli me Tangere als Gemälde für Alfonso d’Avalos umzusetzen, und es wird angenommen, dass es sich bei diesem Werk um jene Tafel handelt, die in der Casa Buonarroti in Florenz (Inv. 1890 Nr. 6307) aufbewahrt wird. Man kennt jedoch auch eine weitere Version in einer Privatsammlung in der Lombardei (vgl. D. Geronimus, ,A More Loving and Constant Heart‘: Vittoria Colonna, Alfonso d’Avalos, Michelangelo and the Complicated History of Pontormo’s ,Noli me tangere‘, in: V. Cox, S. McHugh (Hg.), Vittoria Colonna. Poetry, Religion, Art, Impact, Amsterdam 2022, S. 233).
Die Komposition zu Noli me tangere teilt mehrere Bildelemente mit den bekannten Fassungen der Madonna del Libro: den Faltenwurf des Kleides der Madonna, die Farbigkeit und die geometrische angelegte Architektur im Hintergrund. Zu den weiteren Werken aus dieser Schaffensperiode Pontormos gehören die Madonna mit Kind und Johannes dem Täufer in den Uffizien (Inv. 1890 Nr. 4347) und der Heilige Hieronymus im Landesmuseum Hannover (Inv.-Nr. KM 132), die beide um 1529/1530 datiert werden und vermutlich aufgrund der Belagerung von Florenz durch Kaiser Karl V. unvollendet blieben.
Die Annahme, dass es sich bei der Madonna del Libro um das Gemälde handelt, das Pontormo dem Baumeister Rossino schenkte, der laut Vasari dessen Haus renoviert hatte, wird durch ein Dokument aus dem cadastre von Florenz aus dem Jahr 1534 gestützt, aus dem hervorgeht, dass am Haus des Künstlers zu dieser Zeit Renovierungsarbeiten vorgenommen wurden (vgl. J. Cox-Rearick, S. J. Freedberg, A Pontormo (Partly) Recovered, in: The Burlington Magazine, September 1983, Bd. 125, Nr. 966, S. 522).
Die vorliegende Madonna mit Kind zeichnet sich durch eine hohe malerische Qualität aus und ist stark mit Pontormos Werken der Reifezeit verwandt, wie die sorgfältige Modellierung des Inkarnats, die Faltenwürfe, die leuchtenden Farben sowie die gekonnte Unterzeichnung belegen. Es ist daher möglich, dass der Künstler eng mit Pontormos innerem Kreis verbunden war und Zugang zu seinen Vorlagen und Werkstattmaterialien hatte. Außerdem sind die Maße der Tafel fast identisch mit jenen des oben erwähnten Gemäldes in Hampton Court, während viele andere bekannte Versionen kleiner sind.
Die Komposition greift die Ikonografie der Demutsmadonna auf, die wahrscheinlich auf Simone Martini zurückgeht und später in der Toskana weit verbreitet war. Die Madonna ist auf dem Boden sitzend dargestellt, ohne Thron, Heiligenschein oder andere Symbole, die sie als Mutter Jesu ausweisen. Im Hintergrund ist der heilige Josef bei seiner Arbeit als Zimmermann zu sehen, während der junge Johannes der Täufer ihm einen Korb mit Kirschen reicht, die die Passion Christi symbolisieren. In anderen Fassungen dieser Komposition variieren die Gegenstände im Korb: Manchmal sind Nägel oder Trauben zu sehen. Die weibliche Figur im Hintergrund, die ein Buch in der Hand hält, kann als heilige Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer, identifiziert werden.
Die Stadtlandschaft im Hintergrund ist ebenfalls sehr auffällig. Es wurde vorgeschlagen, dass der heute zerstörte Glockenturm der Florentiner Kirche San Pier Maggiore mit umliegenden Gebäuden dargestellt ist (vgl. Cox-Rearick/Freedberg 1983, S. 527, Anm. 34).
Technische Analyse von Gianluca Poldi
Das Gemälde ist auf einer etwa 4 cm starken Holztafel gemalt und weist keilförmige Verstrebungen von trapezförmigem Querschnitt im florentinischen Stil auf. Der Bildträger wurde ausgedünnt; Spuren eines weißen Kreidegrunds zeigen sich entlang aller vier Seiten. Der hölzerne Bildträger lässt rückseitig noch Spuren eines Hobels oder Meißels erkennen. Der Röntgenuntersuchung zufolge scheint die Tafel aus drei vertikal zusammengefügten Teilen zu bestehen. Die Tafel ist sehr gut erhalten und weist wenige Spuren alter Wurmlöcher auf.
Die bemalte Oberfläche ist insgesamt gut erhalten, bis auf einen kleinen Verlust des Originalmaterials oben in der Mitte und einen minimalen Verlust am unteren Bildrand. In diesen und ein paar anderen Bereichen sind Retuschen zu sehen, darunter einige Schatten im roten Gewand der Madonna.
Die in drei Wellenlängenbereichen durchgeführte Infrarotreflektografie bringt eine dünne, kaum sichtbare Unterzeichnung entlang der Umrisse der Figuren zutage, die auch die Falten des Gewandes der Madonna erfasst. Sie geht einher mit einer schraffierten Unterzeichnung, die vor allem zur Festlegung der Schatten im roten Gewand der Madonna dient, aber auch an ihrem Hals sowie den Beinen des Kindes und möglicherweise stellenweise auch in dessen Gesicht zu beobachten ist. Die Schraffuren muten interessant an: feine, kurze Striche, gesetzt in eher weiten Abständen und ohne fixe Ausrichtung, ähnlich jenen, die sich bisweilen in Werken Pontormos finden, etwa bei der Madonna mit Kind und Johannesknaben in den Uffizien (um 1530) oder – auch hinsichtlich Ausführung und Farbton – bei den Figuren der freskierten Verkündigung (um 1527) in der Capponi-Kapelle in Santa Felicita in Florenz.
Ein weiteres Merkmal, das an die Technik bestimmter Werke Pontormos erinnert, sind einige schraffierte und in unterschiedliche Richtungen verlaufende Pinselstriche in der Art des scomposto. Sie sind in den Infrarotbildern besser in den dunklen Bereichen erkennbar. Der einzige Bereich, in dem eine Freihandzeichnung mit dem Pinsel zu sehen ist, ist das Haar der Madonna entlang der rechten Gesichtshälfte: teils Unterzeichnung, teils Malerei. Abgesehen davon wurden bei der Infrarot- und Röntgenuntersuchung keine Veränderungen festgestellt, was darauf hindeutet, dass der ursprünglichen Vorzeichnung sorgfältig gefolgt wurde.
Die Malerei ist, wie auch mikroskopische Untersuchungen ergeben haben, von bemerkenswerter Qualität und zeigt ungewöhnliche Pigmentschichten und -mischungen, die mittels Reflexionsspektrometrie (vis-RS) nachgewiesen werden konnten.
Ultramarinblau wurde für den blauen Schleier der Madonna verwendet, der auf einer rosafarbenen Grundierung aus Rotlack und Zinnober, vermischt mit Bleiweiß, gemalt wurde. In den Schatten wurde der Mischung vermutlich ein schwarzes Pigment hinzugefügt. Die dunkelbraune Farbe des Himmels ist auf die Verwendung von Smalte zurückzuführen, die sich später aufgrund der Wechselwirkung zwischen Pigment und Öl verfärbt hat. Das gleiche Pigment und damit das gleiche Problem finden sich bei Josefs blaugrau-bräunlichem Gewand im Hintergrund rechts. Das verfärbte Smalteblau findet sich auch im jetzt nahezu schwarzen Mantel der Madonna zusammen mit einem roten (Zinnober) und einem schwarzen Pigment, welches vermutlich verwendet wurde, um den Farbton dunkel zu halten und ihn von jenem des Schleiers zu unterscheiden. Abgedunkelter Grünspan kam in den Ärmeln der Madonna zum Einsatz, während ihr rotes Gewand aus Zinnober und einem karminbasierten Rotlack besteht, der in den lasierten Schattenzonen naturgemäß vermehrt vorkommt. Für die Hauttöne wurde eine Mischung aus Bleiweiß, Zinnober und größeren Körnern Rotlack in unterschiedlichen Anteilen verwendet. Der Grauton der Buchseiten, die laut IR- und UV-Untersuchungen keinen Text enthalten, wurde durch die Verwendung von Azurit in Kombination mit braunen Ockertönen, Anteilen von Schwarz, Zinnober und schwarzem Pigment erzielt. Der vorbereitende Malgrund ist braun.
Die Zeichen am oberen Rand des Büchleins (womöglich ein Stundenbuch), das die durch das Stadttor tretende Frauengestalt in der Hand hält, könnten als Jahreszahl „15(6?)3“ gelesen werden. Ein Gemälde desselben Bildthemas, das im Museum of Fine Arts in Boston aufbewahrt wird, ist mit 1561 datiert; im vorliegenden Fall ist die Datierung jedoch nicht so einfach zu bestimmen, da es hier in diesem Bereich zwei Lagen schwarzer Symbole gibt, die Schrift andeuten. Die erste Lage ist mit einer weißen Lasur bedeckt, auf die abermals Schriftzeichen gesetzt wurden. Die beiden äußeren Ziffern/Zahlen der vermuteten Jahreszahl sind mit schwarzem Pigment ausgeführt, während die beiden mittleren grau sind und zur teilweise mit Bleiweiß überzogenen ersten Lage gehören. Unter dem Mikroskop scheint es sich eher um eine simulierte Datumsangabe als um einen echten chronologischen Bezug zu handeln.
Experte: Mark MacDonnell
Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403
old.masters@dorotheum.at
Käufer Hotline
Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at +43 1 515 60 403 |
Auktion: | Alte Meister |
Auktionstyp: | Saalauktion mit Live Bidding |
Datum: | 22.10.2024 - 18:00 |
Auktionsort: | Wien | Palais Dorotheum |
Besichtigung: | 12.10. - 22.10.2024 |