Luca Cambiaso

(Moneglia 1527–1585 El Escorial)
Diana und Kallisto,
Öl auf Leinwand, 230 x 185,5 cm, ungerahmt

Provenienz:
vermutlich Sammlung des römisch-deutschen Kaisers Rudolf II. (1552–1612), Prag;
Kunsthandel, Wien, um 1900;
Sammlung Adolf Lorenz (1854–1946), Österreich, um 1903;
Weitergabe im Erbgang an den jetzigen Besitzer

Literatur:
vermutlich B. Dudik, Die Rudolphinische Kunst- und Raritärenkammer in Prag, in: J. A. Freiherr von Helfert, Mitteilungen der K. K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, Wien 1867, Bd. 12, S. XXXVIII, Nr. 186 (als „Eine Landschafft Kallisto mit nakenden Weibern“);
vermutlich H. Zimmermann, Das Inventar der Prager Schatz- und Kunstkammer vom 6. Dezember 1621. Nach Akten des k. und k. Reichsfinanzarchivs in Wien, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. 25, 1905, S. XLV, Nr. 1196 (als „Luca de Genua“);
A. Lorenz, Ich durfte helfen. Mein Leben und Wirken, Wien 2017, S. 273–275 (als „[D]as schöne alte Bild feierte […] seine Auferstehung. Der Maler des Bildes war völlig unbekannt. Aber ein Zufall brachte seinen Namen ans Licht. Bei einem Besuche einer Gemäldegalerie in Genua fand ich […] eine Sammlung von Bildern des Luca Cambiaso […]. Kein Zweifel, mein Bild gehörte in diese Sammlung und stammte von demselben Meister.“)

Wir danken Anna Orlando, die die Zuschreibung nach Prüfung des vorliegenden Gemäldes im Original bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des Lots. Sie schlägt eine Entstehungszeit zwischen den frühen 1570er- und den frühen 1580er-Jahren vor, vor Luca Cambiasos Abreise nach Spanien 1583. 

Wir danken zudem Maurizio Romanengo, der die Zuschreibung an Luca Cambiaso unabhängig davon auf Grundlage einer Fotografie bestätigt hat.

Dieses Gemälde, das seit über einem Jahrhundert nicht mehr zu sehen war, ist eine wichtige Wiederentdeckung und bedeutende Hinzufügung zum Œuvre Luca Cambiasos.

Cambiaso wurde in Moneglia bei La Spezia an der ligurischen Riviera di Levante geboren. Er gilt als Begründer der modernen genuesischen Malerei, die mit Alessandro Magnasco (1667–1749) ihre Blütezeit erlebte. Zu dieser Blütezeit der genuesischen Malerei gehörten auch Künstler wie Giovanni Benedetto Castiglione, gen. Il Grechetto (1609–1664), und Gioacchino Assereto (1600–1650).

Zur Herkunft des vorliegenden Meisterwerks: die Wahrscheinlichkeit einer rudolfinischen Provenienz

Die malerische Qualität des vorliegenden Gemäldes, bei dem es keine Hinweise auf die Mitarbeit von Gehilfen oder Werkstattmitarbeitern gibt, ist bemerkenswert. Die großformatige, vielfigurige Komposition und die Tatsache, dass es in der Reifezeit des Künstlers entstanden ist, deuten stark darauf hin, dass dieses Werk von einem Mäzen von Rang und Namen in Auftrag gegeben wurde.

Ein Inventarverzeichnis der Sammlung des römisch-deutschen Kaisers Rudolf II. (1552–1612) aus dem Jahr 1621 vermerkt unter Nummer 1196 ein Gemälde mit der Beschreibung „Ein Baad mit Kallisto vom Luca de Genua“ im Spanischen Saal der Prager Burg (heute Rudolfina-Galerie).

Zum besseren Verständnis des Kontextes, in dem das vorliegende Werk vermutlich ausgestellt wurde, sei darauf hingewiesen, dass der Spanische Saal eine beeindruckende Sammlung beherbergte, die fast ausschließlich mythologische Themen umfasste und von einer subtilen Erotik durchdrungen war, die dem Geschmack des Kaisers entsprach. In derselben Abteilung des Saals fanden sich mehrere Werke italienischer Meister, darunter Gemälde von Tizian, Veronese und Tintoretto. Rudolf II. gilt als einer der kultiviertesten und aufgeklärtesten Mäzene der Kunstgeschichte, und seine Sammlung, die heute verstreut ist, war von immenser Bedeutung.

Weitere Fassungen von Luca Cambiasos Diana und Kallisto

Mindestens zwei weitere Gemälde zum Thema Diana und Kallisto von Luca Cambiaso sind bekannt, darunter eine Version in Kassel (Hessen Kassel Heritage, Inv.-Nr. GK 948) und eine weitere Fassung in der Galleria Sabauda in Turin (Inv.-Nr. 365).

Die Herkunft der Turiner Fassung ist bekannt, zumal sie sich ursprünglich in der Sammlung Spinola in Genua befand. Bis zum Auftauchen der vorliegenden Version galt die um 1749 erworbene Kasseler Fassung als das Werk aus Rudolfs berühmter Sammlung. Nach dem Dafürhalten Anna Orlandos ist jedoch die vorliegende Fassung zweifellos die schönste und bedeutendste der drei Versionen. Orlando weist zudem darauf hin, dass es wichtige Anhaltspunkte für die Annahme gibt, dass es sich bei dem vorliegenden Gemälde um jenes handelt, das im rudolfinischen Inventar von 1621 verzeichnet ist.

Cambiasos Einfluss auf Spranger: Glanz und Erotik im kaiserlichen Prag

Orlando hat die Bedeutung von Luca Cambiasos Schaffen für den ersten Hofmaler Rudolfs II., Bartholomäus Spranger (1546–1611), betont.

Spranger, der eine Generation jünger als Cambiaso war, begegnete Cambiasos Kunst in Prag und betrachtete den Künstler zweifellos als einen „Meister“. Bezeichnenderweise waren im Spanischen Saal neben Cambiasos Diana und Kallisto fünf Gemälde Bartholomäus Sprangers ausgestellt, die allesamt mythologischen Themen darstellten. Keines dieser Werke konnte eindeutig identifiziert werden, sodass die Möglichkeit besteht, dass es sich ebenfalls um großformatige Gemälde handelte.

Der Austausch zwischen Spranger und Cambiaso bestätigt sich voll und ganz durch stilistische Vergleiche zwischen den Werken der beiden Künstler, darunter auch Zeichnungen und Stiche. Orlando argumentiert, dass sich das vorliegende Gemälde in Prag befunden haben muss, zumal es die Inspirationsquelle für Kompositionen Sprangers gewesen zu sein scheint, die in den frühen 1580er-Jahren in Prag entstanden, darunter eine Zeichnung von Diana und Actaeon, die heute im Metropolitan Museum of Art in New York aufbewahrt wird (Inv.-Nr. 1997.93) und eine Zeichnung der Diana in der Staatlichen Graphischen Sammlung München (Inv.-Nr. 1978:38) sowie ein Stich nach einem verschollenen Werk Sprangers, ebenfalls im Metropolitan Museum of Art, New York (Inv.-Nr. 49.95.2283).

Es sei auch darauf hingewiesen, dass Werke Cambiasos und Sprangers nebeneinander auch außerhalb der Galerien der Prager Burg hingen, wie es das bereits erwähnte Inventar von 1621 dokumentiert. Unter Nr. 1009 ist ein Gemälde Luca Cambiasos mit einem Urteil des Paris angeführt; unter Nr. 1010 ist ein Perseus mit dem Haupt der Medusa Sprangers verzeichnet. Orlando argumentiert, dass das Werk Sprangers möglicherweise als Gegenstück zu dem bereits existierenden Werk Cambiasos gemalt wurde. Ob dies der Fall ist oder nicht, der Einfluss des genuesischen Meisters auf den jüngeren Künstler ist unter KunsthistorikerInnen anerkannt; bisweilen wurden ihre Werke sogar verwechselt (siehe z. B. S. Metzler, Bartholomeus Spranger. Splendor and Eroticism in Imperial Prague, New York 2014, S. 244).

Rudolfs Besuch in Genua 1571

Rudolf könnte während eines Besuchs in Genua im Sommer 1571, als er Gast von Giovanni Andrea Doria (1540–1606) in der Villa Doria di Fassolo war, auf Cambiasos Werk gestoßen sein. Rudolf befand sich in Begleitung seines Bruders Ernst (1553–1595) und seines Cousins Don Juan de Austria (1547–1578), Halbbruder Philipps II. von Spanien, auf der Reise von Spanien nach Wien.

Rudolf war 19 Jahre alt und muss von der Schönheit, die er in Genua zu Gesicht bekam, verzückt gewesen sein. Die Stadt war zwar kein Königreich und die Villa in Fassolo kein Palast, aber der Prunk und Reichtum waren eindrucksvoller als an den meisten großen Höfen Europas. Für die jungen Habsburger wurden mehrere Veranstaltungen organisiert, u. a. ein Festmahl mit 18 Gängen in Anwesenheit von „zweiundfünfzig der ersten Damen der Stadt, alle in Hermelin und weißen Satin gekleidet und mit schönen Juwelen geschmückt“, gefolgt von Feierlichkeiten, „wo die Hoheit des besagten Don Juan de Austria und die zwei Prinzen maskiert wurden, mit den Prinzen von Florenz, von Urbino und von Parma und vielen italienischen und spanischen Edelleuten“ (siehe L. Stagno, Giovanni Andrea Doria [1540–1606]. Immagini, committenze artistiche, rapporti politici e culturali tra Genova e la Spagna, Genua 2018, S. 129).

Rudolfs Gastgeber, die Doria, waren Mäzene Cambiasos, und sie schickten König Philipp II. von Spanien, Rudolfs Cousin, im Jahr 1578 sogar ein Werk des Künstlers. Das war kurz bevor Cambiaso 1583 als Hofmaler ans Escorial nach Spanien gerufen wurde.

Es ist belegt, dass Rudolf zumindest ein Gemälde erwarb, das er während seines Besuchs in Genua gesehen haben muss (Venus von Kythera mit einer Ansicht von Genua im Hintergrund von Jan Massys, heute im Nationalmuseum in Stockholm, Inv.-Nr. NM 507). Zurzeit von Rudolfs Besuch in Genua befand sich dieses Gemälde in der Villa von Ambrogio Di Negro (1519–1601). Die Villa Di Negro lag nicht weit von der Villa Doria di Fassolo. Ambrogio Di Negro war einer der wichtigsten Finanziers von Rudolfs Vater, Maximilian II., und es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der junge Prinz seine Residenz besuchte und seine Kunstsammlung vorgeführt bekam.

Di Negros Villa beherbergte eine eindrucksvolle Gemäldesammlung und war dem jungen Rudolf, der bald einer der kultiviertesten und fortschrittlichsten Mäzene Europas werden sollte, wohl eine Inspirationsquelle. Das Inventar des Genueser Finanziers von 1618 verzeichnet eine Reihe von Werken Cambiasos sowie Bilder anderer Künstler mit sinnlichen Darstellungen, darunter eine „nackte Venus“, eine Lucretia, eine Susanna und eine „nackte Veronika“ – sowie eine imposante Reihe von Skulpturen zu mythologischen Themen.

Angesichts der engen Finanzbeziehung Ambrogio Di Negros zum Hause Habsburg und der Tatsache, dass er ein persönlicher Mäzen Luca Cambiasos war, ist es sehr wahrscheinlich, dass er bei dem Auftrag oder Kauf der beiden Leinwandbilder Cambiasos, die später in Rudolfs Sammlung unter Nr. 1196 und Nr. 1009 verzeichnet waren (siehe oben), eine Vermittlerrolle einnahm. Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass sich in Di Negros Sammlung auch ein Werk von „Bartolomeo Splanges“ befand, einem Maler, der in Inventarverzeichnissen von Genueser Sammlern des 17. Jahrhunderts selten anzutreffen ist.

Weitere Belege für Rudolfs Interesse an Cambiaso

Auch wenn der Kauf der beiden Werke Cambiasos in der Sammlung Rudolfs II. nicht urkundlich belegt ist, gibt es doch einen Brief von Albrecht Fugger aus dem Jahr 1601, in dem er Rudolf eine Venus mit Mars und Amor „von dem künstlichen mahler Luca Cambiaso Genovese“, gemalt auf einer großen Leinwand, zum Preis von 500 Gulden anbietet. Fugger riet Rudolf, sich keine Zeit zu lassen, weil viele Maler meinten, dass man den Amor nicht besser malen könnte (siehe H. v. Volteline, Urkunden und Regesten aus dem k. u k. Haus-, Hof- und Staats-Archiv in Wien, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Nr. 19, 1898, S. XXVI–XXVII, reg. 16266).

Der Künstler in den Augen der Kritik

Cambiasos Werk gewann Mitte des 20. Jahrhunderts anlässlich einer monografischen Ausstellung in Genua 1956, auf die in den 1960er-Jahren weitere von Bertina Suida Manning kuratierte Ausstellungen in Amerika folgten, wieder an Bedeutung. Sie weckten das Interesse am Werk Cambiasos und machten ihn zu einem der drei von Museen am meisten geschätzten Genueser Künstler.

William Suida und seine Tochter Bertina gaben 1958 das als maßgeblich erachtete Werkverzeichnis zu Cambiaso heraus, das bis heute, nach beinahe siebzig Jahren, eine unverzichtbare Wissensquelle zu diesem Maler geblieben ist. Cambiasos Fähigkeiten nicht nur als Maler – als Schöpfer von Bildern auf Leinwand und als Freskenmaler –, sondern auch als Grafiker – wurden verstärkt wahrgenommen. Er war ein produktiver Zeichner und entwickelte ein bahnbrechendes geometrisches System der Figurenzeichnung, das immer noch seinesgleichen sucht. In seinen berühmten „Nocturnes“ oder Nachtbildern erweist er sich als wahres Genie des Lichts und arbeitet mit theatralischen künstlichen Lichteffekten, lange bevor Caravaggio in Erscheinung tritt.

Weitere wichtige Erkenntnisse im Zusammenhang mit Cambiasos Schaffen lieferten jüngst eine Monografie über den Künstler von Lauro Magnani sowie eine Ausstellung in Austin und Genua im Jahr 2006/2007, die viel unveröffentlichtes Material zutage brachte. Frühe kritische Würdigung erfuhr Cambiasos Werk bereits 1674 durch Raffaele Soprani, den ersten Biografen der Genueser Maler, der dem Künstler auf nicht weniger als siebzehn Seiten eine der ausführlichsten Lebensbeschreibungen widmete, voller Detailinformationen und natürlich Lob und Wertschätzung. Schon vor Soprani nahm der Dichter Giovanni Battista Marino Cambiasos Geißelung Christi in sein berühmtes Werk La Galeria (1619) auf und bezog sich damit auf ein Kunstwerk in der Sammlung der Doria.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.at

Schätzwert:
EUR 600.000,- bis EUR 800.000,-

Luca Cambiaso


(Moneglia 1527–1585 El Escorial)
Diana und Kallisto,
Öl auf Leinwand, 230 x 185,5 cm, ungerahmt

Provenienz:
vermutlich Sammlung des römisch-deutschen Kaisers Rudolf II. (1552–1612), Prag;
Kunsthandel, Wien, um 1900;
Sammlung Adolf Lorenz (1854–1946), Österreich, um 1903;
Weitergabe im Erbgang an den jetzigen Besitzer

Literatur:
vermutlich B. Dudik, Die Rudolphinische Kunst- und Raritärenkammer in Prag, in: J. A. Freiherr von Helfert, Mitteilungen der K. K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, Wien 1867, Bd. 12, S. XXXVIII, Nr. 186 (als „Eine Landschafft Kallisto mit nakenden Weibern“);
vermutlich H. Zimmermann, Das Inventar der Prager Schatz- und Kunstkammer vom 6. Dezember 1621. Nach Akten des k. und k. Reichsfinanzarchivs in Wien, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. 25, 1905, S. XLV, Nr. 1196 (als „Luca de Genua“);
A. Lorenz, Ich durfte helfen. Mein Leben und Wirken, Wien 2017, S. 273–275 (als „[D]as schöne alte Bild feierte […] seine Auferstehung. Der Maler des Bildes war völlig unbekannt. Aber ein Zufall brachte seinen Namen ans Licht. Bei einem Besuche einer Gemäldegalerie in Genua fand ich […] eine Sammlung von Bildern des Luca Cambiaso […]. Kein Zweifel, mein Bild gehörte in diese Sammlung und stammte von demselben Meister.“)

Wir danken Anna Orlando, die die Zuschreibung nach Prüfung des vorliegenden Gemäldes im Original bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des Lots. Sie schlägt eine Entstehungszeit zwischen den frühen 1570er- und den frühen 1580er-Jahren vor, vor Luca Cambiasos Abreise nach Spanien 1583. 

Wir danken zudem Maurizio Romanengo, der die Zuschreibung an Luca Cambiaso unabhängig davon auf Grundlage einer Fotografie bestätigt hat.

Dieses Gemälde, das seit über einem Jahrhundert nicht mehr zu sehen war, ist eine wichtige Wiederentdeckung und bedeutende Hinzufügung zum Œuvre Luca Cambiasos.

Cambiaso wurde in Moneglia bei La Spezia an der ligurischen Riviera di Levante geboren. Er gilt als Begründer der modernen genuesischen Malerei, die mit Alessandro Magnasco (1667–1749) ihre Blütezeit erlebte. Zu dieser Blütezeit der genuesischen Malerei gehörten auch Künstler wie Giovanni Benedetto Castiglione, gen. Il Grechetto (1609–1664), und Gioacchino Assereto (1600–1650).

Zur Herkunft des vorliegenden Meisterwerks: die Wahrscheinlichkeit einer rudolfinischen Provenienz

Die malerische Qualität des vorliegenden Gemäldes, bei dem es keine Hinweise auf die Mitarbeit von Gehilfen oder Werkstattmitarbeitern gibt, ist bemerkenswert. Die großformatige, vielfigurige Komposition und die Tatsache, dass es in der Reifezeit des Künstlers entstanden ist, deuten stark darauf hin, dass dieses Werk von einem Mäzen von Rang und Namen in Auftrag gegeben wurde.

Ein Inventarverzeichnis der Sammlung des römisch-deutschen Kaisers Rudolf II. (1552–1612) aus dem Jahr 1621 vermerkt unter Nummer 1196 ein Gemälde mit der Beschreibung „Ein Baad mit Kallisto vom Luca de Genua“ im Spanischen Saal der Prager Burg (heute Rudolfina-Galerie).

Zum besseren Verständnis des Kontextes, in dem das vorliegende Werk vermutlich ausgestellt wurde, sei darauf hingewiesen, dass der Spanische Saal eine beeindruckende Sammlung beherbergte, die fast ausschließlich mythologische Themen umfasste und von einer subtilen Erotik durchdrungen war, die dem Geschmack des Kaisers entsprach. In derselben Abteilung des Saals fanden sich mehrere Werke italienischer Meister, darunter Gemälde von Tizian, Veronese und Tintoretto. Rudolf II. gilt als einer der kultiviertesten und aufgeklärtesten Mäzene der Kunstgeschichte, und seine Sammlung, die heute verstreut ist, war von immenser Bedeutung.

Weitere Fassungen von Luca Cambiasos Diana und Kallisto

Mindestens zwei weitere Gemälde zum Thema Diana und Kallisto von Luca Cambiaso sind bekannt, darunter eine Version in Kassel (Hessen Kassel Heritage, Inv.-Nr. GK 948) und eine weitere Fassung in der Galleria Sabauda in Turin (Inv.-Nr. 365).

Die Herkunft der Turiner Fassung ist bekannt, zumal sie sich ursprünglich in der Sammlung Spinola in Genua befand. Bis zum Auftauchen der vorliegenden Version galt die um 1749 erworbene Kasseler Fassung als das Werk aus Rudolfs berühmter Sammlung. Nach dem Dafürhalten Anna Orlandos ist jedoch die vorliegende Fassung zweifellos die schönste und bedeutendste der drei Versionen. Orlando weist zudem darauf hin, dass es wichtige Anhaltspunkte für die Annahme gibt, dass es sich bei dem vorliegenden Gemälde um jenes handelt, das im rudolfinischen Inventar von 1621 verzeichnet ist.

Cambiasos Einfluss auf Spranger: Glanz und Erotik im kaiserlichen Prag

Orlando hat die Bedeutung von Luca Cambiasos Schaffen für den ersten Hofmaler Rudolfs II., Bartholomäus Spranger (1546–1611), betont.

Spranger, der eine Generation jünger als Cambiaso war, begegnete Cambiasos Kunst in Prag und betrachtete den Künstler zweifellos als einen „Meister“. Bezeichnenderweise waren im Spanischen Saal neben Cambiasos Diana und Kallisto fünf Gemälde Bartholomäus Sprangers ausgestellt, die allesamt mythologischen Themen darstellten. Keines dieser Werke konnte eindeutig identifiziert werden, sodass die Möglichkeit besteht, dass es sich ebenfalls um großformatige Gemälde handelte.

Der Austausch zwischen Spranger und Cambiaso bestätigt sich voll und ganz durch stilistische Vergleiche zwischen den Werken der beiden Künstler, darunter auch Zeichnungen und Stiche. Orlando argumentiert, dass sich das vorliegende Gemälde in Prag befunden haben muss, zumal es die Inspirationsquelle für Kompositionen Sprangers gewesen zu sein scheint, die in den frühen 1580er-Jahren in Prag entstanden, darunter eine Zeichnung von Diana und Actaeon, die heute im Metropolitan Museum of Art in New York aufbewahrt wird (Inv.-Nr. 1997.93) und eine Zeichnung der Diana in der Staatlichen Graphischen Sammlung München (Inv.-Nr. 1978:38) sowie ein Stich nach einem verschollenen Werk Sprangers, ebenfalls im Metropolitan Museum of Art, New York (Inv.-Nr. 49.95.2283).

Es sei auch darauf hingewiesen, dass Werke Cambiasos und Sprangers nebeneinander auch außerhalb der Galerien der Prager Burg hingen, wie es das bereits erwähnte Inventar von 1621 dokumentiert. Unter Nr. 1009 ist ein Gemälde Luca Cambiasos mit einem Urteil des Paris angeführt; unter Nr. 1010 ist ein Perseus mit dem Haupt der Medusa Sprangers verzeichnet. Orlando argumentiert, dass das Werk Sprangers möglicherweise als Gegenstück zu dem bereits existierenden Werk Cambiasos gemalt wurde. Ob dies der Fall ist oder nicht, der Einfluss des genuesischen Meisters auf den jüngeren Künstler ist unter KunsthistorikerInnen anerkannt; bisweilen wurden ihre Werke sogar verwechselt (siehe z. B. S. Metzler, Bartholomeus Spranger. Splendor and Eroticism in Imperial Prague, New York 2014, S. 244).

Rudolfs Besuch in Genua 1571

Rudolf könnte während eines Besuchs in Genua im Sommer 1571, als er Gast von Giovanni Andrea Doria (1540–1606) in der Villa Doria di Fassolo war, auf Cambiasos Werk gestoßen sein. Rudolf befand sich in Begleitung seines Bruders Ernst (1553–1595) und seines Cousins Don Juan de Austria (1547–1578), Halbbruder Philipps II. von Spanien, auf der Reise von Spanien nach Wien.

Rudolf war 19 Jahre alt und muss von der Schönheit, die er in Genua zu Gesicht bekam, verzückt gewesen sein. Die Stadt war zwar kein Königreich und die Villa in Fassolo kein Palast, aber der Prunk und Reichtum waren eindrucksvoller als an den meisten großen Höfen Europas. Für die jungen Habsburger wurden mehrere Veranstaltungen organisiert, u. a. ein Festmahl mit 18 Gängen in Anwesenheit von „zweiundfünfzig der ersten Damen der Stadt, alle in Hermelin und weißen Satin gekleidet und mit schönen Juwelen geschmückt“, gefolgt von Feierlichkeiten, „wo die Hoheit des besagten Don Juan de Austria und die zwei Prinzen maskiert wurden, mit den Prinzen von Florenz, von Urbino und von Parma und vielen italienischen und spanischen Edelleuten“ (siehe L. Stagno, Giovanni Andrea Doria [1540–1606]. Immagini, committenze artistiche, rapporti politici e culturali tra Genova e la Spagna, Genua 2018, S. 129).

Rudolfs Gastgeber, die Doria, waren Mäzene Cambiasos, und sie schickten König Philipp II. von Spanien, Rudolfs Cousin, im Jahr 1578 sogar ein Werk des Künstlers. Das war kurz bevor Cambiaso 1583 als Hofmaler ans Escorial nach Spanien gerufen wurde.

Es ist belegt, dass Rudolf zumindest ein Gemälde erwarb, das er während seines Besuchs in Genua gesehen haben muss (Venus von Kythera mit einer Ansicht von Genua im Hintergrund von Jan Massys, heute im Nationalmuseum in Stockholm, Inv.-Nr. NM 507). Zurzeit von Rudolfs Besuch in Genua befand sich dieses Gemälde in der Villa von Ambrogio Di Negro (1519–1601). Die Villa Di Negro lag nicht weit von der Villa Doria di Fassolo. Ambrogio Di Negro war einer der wichtigsten Finanziers von Rudolfs Vater, Maximilian II., und es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der junge Prinz seine Residenz besuchte und seine Kunstsammlung vorgeführt bekam.

Di Negros Villa beherbergte eine eindrucksvolle Gemäldesammlung und war dem jungen Rudolf, der bald einer der kultiviertesten und fortschrittlichsten Mäzene Europas werden sollte, wohl eine Inspirationsquelle. Das Inventar des Genueser Finanziers von 1618 verzeichnet eine Reihe von Werken Cambiasos sowie Bilder anderer Künstler mit sinnlichen Darstellungen, darunter eine „nackte Venus“, eine Lucretia, eine Susanna und eine „nackte Veronika“ – sowie eine imposante Reihe von Skulpturen zu mythologischen Themen.

Angesichts der engen Finanzbeziehung Ambrogio Di Negros zum Hause Habsburg und der Tatsache, dass er ein persönlicher Mäzen Luca Cambiasos war, ist es sehr wahrscheinlich, dass er bei dem Auftrag oder Kauf der beiden Leinwandbilder Cambiasos, die später in Rudolfs Sammlung unter Nr. 1196 und Nr. 1009 verzeichnet waren (siehe oben), eine Vermittlerrolle einnahm. Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass sich in Di Negros Sammlung auch ein Werk von „Bartolomeo Splanges“ befand, einem Maler, der in Inventarverzeichnissen von Genueser Sammlern des 17. Jahrhunderts selten anzutreffen ist.

Weitere Belege für Rudolfs Interesse an Cambiaso

Auch wenn der Kauf der beiden Werke Cambiasos in der Sammlung Rudolfs II. nicht urkundlich belegt ist, gibt es doch einen Brief von Albrecht Fugger aus dem Jahr 1601, in dem er Rudolf eine Venus mit Mars und Amor „von dem künstlichen mahler Luca Cambiaso Genovese“, gemalt auf einer großen Leinwand, zum Preis von 500 Gulden anbietet. Fugger riet Rudolf, sich keine Zeit zu lassen, weil viele Maler meinten, dass man den Amor nicht besser malen könnte (siehe H. v. Volteline, Urkunden und Regesten aus dem k. u k. Haus-, Hof- und Staats-Archiv in Wien, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Nr. 19, 1898, S. XXVI–XXVII, reg. 16266).

Der Künstler in den Augen der Kritik

Cambiasos Werk gewann Mitte des 20. Jahrhunderts anlässlich einer monografischen Ausstellung in Genua 1956, auf die in den 1960er-Jahren weitere von Bertina Suida Manning kuratierte Ausstellungen in Amerika folgten, wieder an Bedeutung. Sie weckten das Interesse am Werk Cambiasos und machten ihn zu einem der drei von Museen am meisten geschätzten Genueser Künstler.

William Suida und seine Tochter Bertina gaben 1958 das als maßgeblich erachtete Werkverzeichnis zu Cambiaso heraus, das bis heute, nach beinahe siebzig Jahren, eine unverzichtbare Wissensquelle zu diesem Maler geblieben ist. Cambiasos Fähigkeiten nicht nur als Maler – als Schöpfer von Bildern auf Leinwand und als Freskenmaler –, sondern auch als Grafiker – wurden verstärkt wahrgenommen. Er war ein produktiver Zeichner und entwickelte ein bahnbrechendes geometrisches System der Figurenzeichnung, das immer noch seinesgleichen sucht. In seinen berühmten „Nocturnes“ oder Nachtbildern erweist er sich als wahres Genie des Lichts und arbeitet mit theatralischen künstlichen Lichteffekten, lange bevor Caravaggio in Erscheinung tritt.

Weitere wichtige Erkenntnisse im Zusammenhang mit Cambiasos Schaffen lieferten jüngst eine Monografie über den Künstler von Lauro Magnani sowie eine Ausstellung in Austin und Genua im Jahr 2006/2007, die viel unveröffentlichtes Material zutage brachte. Frühe kritische Würdigung erfuhr Cambiasos Werk bereits 1674 durch Raffaele Soprani, den ersten Biografen der Genueser Maler, der dem Künstler auf nicht weniger als siebzehn Seiten eine der ausführlichsten Lebensbeschreibungen widmete, voller Detailinformationen und natürlich Lob und Wertschätzung. Schon vor Soprani nahm der Dichter Giovanni Battista Marino Cambiasos Geißelung Christi in sein berühmtes Werk La Galeria (1619) auf und bezog sich damit auf ein Kunstwerk in der Sammlung der Doria.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: Termin in privaten Kalender übernehmen
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 12.04. - 29.04.2025