Lot Nr. 201


Lucio Fontana *


Lucio Fontana * - Zeitgenössische Kunst I

(Rosario di Santa Fe, Argentinien 1899–1968 Comabbio)
Deposizione di Cristo, 1954/56, signiert, glasierte Keramik, 51,5 x 42 x 11 cm, gerahmt

Das Werk ist bei der Fondazione Lucio Fontana, Mailand, unter der Nr. 424/1 registriert. Eine Echtheitsbestätigung (19.05.1970) liegt bei.

Das Werk wird in das in Vorbereitung befindliche, von der Fondazione Lucio Fontana herausgegebene Werkverzeichnis der Terracotta- und Keramikarbeiten aufgenommen.

Provenienz:
Sammlung Corrado Pizzinelli, Mailand
Sammlung Alberto Tonelli, Rom
Europäische Privatsammlung

Die Erforschung und Auslotung der Dreidimensionalität, die Dynamisierung des Raumes und vor allem eine allumfassende Raumerfahrung spielen von Anfang an die zentrale Rolle im Schaffen Lucio Fontanas. Das Interesse für das Plastische zeigt sich bereits in den frühen Anilinbildern, die durch das Aufschlitzen und Durchstoßen des Bildträgers gekennzeichnet sind. Diese Verstümmelungen der integren Leinwand entsprechen einer radikalen Auffassung von Kunst, die Fontana in seinem Weißen Manifest 1946 zu Papier brachte. Es geht ihm um die Dringlichkeit der Aufhebung einer dem Stillstand und der Statik verhafteten Kunst und der Proklamation einer sich in Bewegung befindlichen Zeit- und Räumlichkeit. Gemeinsam mit weiteren KünstlerInnen des sogenannten Spazialismo, vertrat Fontana die Ansicht, dass der traditionelle Bildträger überholt und durch die Erfahrung der Zusammenwirkung von Zeit, Richtung, Klang und Licht im Raum zu ersetzen sei. Der Einsicht nach, dass natürliche Elemente wie Strahlen, Elektronen und Partikel unkontrollierbar und mit gewaltiger Kraft auf die Oberfläche einwirken, vollzieht Fontana die Perforierung des „alten“ Bildträgers mit Schnitten und Löchern. Der Flächigkeit und den damit einhergehenden Illusionismus der Malerei wird die Durchlässigkeit und ausgreifende Plastizität der Leinwand entgegengesetzt. Das Werk wird als ein „sich frei entfaltendes, unbegrenztes Kontinuum“ (Fontana) verstanden, wobei die Grenzen zwischen Malerei und Skulptur aufgehoben und zu einem allumfassenden Concetto spaziale werden.

Wohl beeinflusst durch den Steinmetzberuf des Vaters, in dessen Atelier er zeitweise tätig war, beginnt der Künstler ab 1935 eigene keramische Plastiken zu fertigen. Zeitgleich mit den Forderungen innerhalb des Spazialismo, der sich der raumbezogenen, abstrakten Kunst verschrieben hat, schafft Fontana figürliche Werke, wobei die Darstellung von Kreuzesszenen den Hauptteil ausmachen. Die meisten dieser Arbeiten entstehen in der Hochphase der Beschäftigung des Künstlers mit Raumkonzepten, nämlich zwischen 1947 und Mitte der 1950er Jahre.

Deposizione di Cristo aus den Jahren 1954/56 zeigt die Aneignung des Raumes in expressiv-dynamischer Geste und lässt sich anhand der Bewegung der Figuren im Raum nachvollziehen: Dargestellt ist die aufrechtstehende Figur des Josef von Arimathäa, der den schlaffen, nach unten ziehenden Körper Jesu vom Kreuz nimmt. Doch damit nicht genug, das bekannte Sujet der Kreuzabnahme zeigt sich in einer Ausdehnung ganz barocker Manier: Die Konfigurationen sind bis auf die Andeutung des Kreuzes und den turbulenten Verwirbelungen gleichsam aufgelöst, zu luftiger Fluktuation und Geschwindigkeit abstrahiert, als Ausdruck des „Drama der Kraft und der Bewegung“.

„Nun kann man sagen, dass Fontana barock ist; er hat etwas Barockes, weil es seine Keramikarbeiten sind und das ist auch, tief im Inneren, der barocke Aspekt seiner Bildhauerei; dies liegt zum Teil an der Versuchung zum Überschwang, die ihn dazu bringt, mit einem Material, das einen so großen latenten Wert hat, umzugehen. Eine Hommage an den Barock war ihm eine Pflicht... wenn die vielen kleinen ‚Schlachten‘... der lebendige und frische Barock von heute sind, so sind seine Madonnen und Kruzifixe mit ihren wogenden Drapierungen und Goldblitzen eine echte Hommage an den Barock selbst - ‚transkribiert‘, so wie es die Musiker mit ihren Lieblingskompositionen aus der Vergangenheit tun - eine Hommage an diesen Stil, den Vater all jener Rebellionen, die sich für die Abstraktion einsetzten“.
(L. Ponti, Prima Astratto poi Barocco, ora spaziale, in „Domus“ Nr. 229, Bd. IV, 1948, S. 46)

Die sinnliche Erfahrung des Bildthemas wird neben dem Raumkonzept durch die Wahl und Bearbeitung des Materials erreicht. Der Schmelz der Oberfläche, die sparsam eingesetzte Farbgebung und die antithetischen Kompositionslinien der Figuren verkörpern ein aerodynamisches ambiente spaziale, in welches die spontane und schnelle Bearbeitung der nassen Tonmasse durch Schnitte und Schlitze eingeschrieben ist. Das aufwändige Modellieren weicht einer flüchtigen Technik, die den Entstehungsprozess und das Vor- und Eindringen in den Raum selbst verbildlicht.

Experte: Alessandro Rizzi Alessandro Rizzi
+39-02-303 52 41

alessandro.rizzi@dorotheum.it

25.11.2020 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 259.500,-
Schätzwert:
EUR 200.000,- bis EUR 300.000,-

Lucio Fontana *


(Rosario di Santa Fe, Argentinien 1899–1968 Comabbio)
Deposizione di Cristo, 1954/56, signiert, glasierte Keramik, 51,5 x 42 x 11 cm, gerahmt

Das Werk ist bei der Fondazione Lucio Fontana, Mailand, unter der Nr. 424/1 registriert. Eine Echtheitsbestätigung (19.05.1970) liegt bei.

Das Werk wird in das in Vorbereitung befindliche, von der Fondazione Lucio Fontana herausgegebene Werkverzeichnis der Terracotta- und Keramikarbeiten aufgenommen.

Provenienz:
Sammlung Corrado Pizzinelli, Mailand
Sammlung Alberto Tonelli, Rom
Europäische Privatsammlung

Die Erforschung und Auslotung der Dreidimensionalität, die Dynamisierung des Raumes und vor allem eine allumfassende Raumerfahrung spielen von Anfang an die zentrale Rolle im Schaffen Lucio Fontanas. Das Interesse für das Plastische zeigt sich bereits in den frühen Anilinbildern, die durch das Aufschlitzen und Durchstoßen des Bildträgers gekennzeichnet sind. Diese Verstümmelungen der integren Leinwand entsprechen einer radikalen Auffassung von Kunst, die Fontana in seinem Weißen Manifest 1946 zu Papier brachte. Es geht ihm um die Dringlichkeit der Aufhebung einer dem Stillstand und der Statik verhafteten Kunst und der Proklamation einer sich in Bewegung befindlichen Zeit- und Räumlichkeit. Gemeinsam mit weiteren KünstlerInnen des sogenannten Spazialismo, vertrat Fontana die Ansicht, dass der traditionelle Bildträger überholt und durch die Erfahrung der Zusammenwirkung von Zeit, Richtung, Klang und Licht im Raum zu ersetzen sei. Der Einsicht nach, dass natürliche Elemente wie Strahlen, Elektronen und Partikel unkontrollierbar und mit gewaltiger Kraft auf die Oberfläche einwirken, vollzieht Fontana die Perforierung des „alten“ Bildträgers mit Schnitten und Löchern. Der Flächigkeit und den damit einhergehenden Illusionismus der Malerei wird die Durchlässigkeit und ausgreifende Plastizität der Leinwand entgegengesetzt. Das Werk wird als ein „sich frei entfaltendes, unbegrenztes Kontinuum“ (Fontana) verstanden, wobei die Grenzen zwischen Malerei und Skulptur aufgehoben und zu einem allumfassenden Concetto spaziale werden.

Wohl beeinflusst durch den Steinmetzberuf des Vaters, in dessen Atelier er zeitweise tätig war, beginnt der Künstler ab 1935 eigene keramische Plastiken zu fertigen. Zeitgleich mit den Forderungen innerhalb des Spazialismo, der sich der raumbezogenen, abstrakten Kunst verschrieben hat, schafft Fontana figürliche Werke, wobei die Darstellung von Kreuzesszenen den Hauptteil ausmachen. Die meisten dieser Arbeiten entstehen in der Hochphase der Beschäftigung des Künstlers mit Raumkonzepten, nämlich zwischen 1947 und Mitte der 1950er Jahre.

Deposizione di Cristo aus den Jahren 1954/56 zeigt die Aneignung des Raumes in expressiv-dynamischer Geste und lässt sich anhand der Bewegung der Figuren im Raum nachvollziehen: Dargestellt ist die aufrechtstehende Figur des Josef von Arimathäa, der den schlaffen, nach unten ziehenden Körper Jesu vom Kreuz nimmt. Doch damit nicht genug, das bekannte Sujet der Kreuzabnahme zeigt sich in einer Ausdehnung ganz barocker Manier: Die Konfigurationen sind bis auf die Andeutung des Kreuzes und den turbulenten Verwirbelungen gleichsam aufgelöst, zu luftiger Fluktuation und Geschwindigkeit abstrahiert, als Ausdruck des „Drama der Kraft und der Bewegung“.

„Nun kann man sagen, dass Fontana barock ist; er hat etwas Barockes, weil es seine Keramikarbeiten sind und das ist auch, tief im Inneren, der barocke Aspekt seiner Bildhauerei; dies liegt zum Teil an der Versuchung zum Überschwang, die ihn dazu bringt, mit einem Material, das einen so großen latenten Wert hat, umzugehen. Eine Hommage an den Barock war ihm eine Pflicht... wenn die vielen kleinen ‚Schlachten‘... der lebendige und frische Barock von heute sind, so sind seine Madonnen und Kruzifixe mit ihren wogenden Drapierungen und Goldblitzen eine echte Hommage an den Barock selbst - ‚transkribiert‘, so wie es die Musiker mit ihren Lieblingskompositionen aus der Vergangenheit tun - eine Hommage an diesen Stil, den Vater all jener Rebellionen, die sich für die Abstraktion einsetzten“.
(L. Ponti, Prima Astratto poi Barocco, ora spaziale, in „Domus“ Nr. 229, Bd. IV, 1948, S. 46)

Die sinnliche Erfahrung des Bildthemas wird neben dem Raumkonzept durch die Wahl und Bearbeitung des Materials erreicht. Der Schmelz der Oberfläche, die sparsam eingesetzte Farbgebung und die antithetischen Kompositionslinien der Figuren verkörpern ein aerodynamisches ambiente spaziale, in welches die spontane und schnelle Bearbeitung der nassen Tonmasse durch Schnitte und Schlitze eingeschrieben ist. Das aufwändige Modellieren weicht einer flüchtigen Technik, die den Entstehungsprozess und das Vor- und Eindringen in den Raum selbst verbildlicht.

Experte: Alessandro Rizzi Alessandro Rizzi
+39-02-303 52 41

alessandro.rizzi@dorotheum.it


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Zeitgenössische Kunst I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 25.11.2020 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: online


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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