Lot Nr. 75 -


Viviano Codazzi und Domenico Gargiulo, gen. Micco Spadaro


Viviano Codazzi und Domenico Gargiulo, gen. Micco Spadaro - Alte Meister I

(Bergamo 1604–1670 Rom) und (Neapel 1609/10 – ?1675)
Vornehme Figuren auf der Terrasse eines Palastes nahe eines Hafens,
Öl auf Leinwand, 102,5 x 130,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Frankreich;
Kunsthandel, Frankreich;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Wir danken David R. Marshall, der die Zuschreibung auf Grundlage von Fotografien vorgeschlagen hat, für seine Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Lots.

Diese Hafenszene Viviano Codazzis datiert in seine frühe künstlerische Tätigkeit in Neapel und wurde höchstwahrscheinlich vor seinem 1648 erfolgten Aufbruch nach Rom ausgeführt. Das Gemälde entstand vermutlich in den späten 1640er-Jahren. Vergleichbare signierte und in die 1640er- und 1650er-Jahre datierbare Werke finden sich bei David R. Marshall (Viviano and Niccolò Codazzi, Mailand, 1993, S. 94–143).

Viviano Codazzis Interesse an Architektur und sein auf die Linearperspektive gelegtes Augenmerk rühren vermutlich aus der Frühzeit des Künstlers, als er sich als Architekturmaler beziehungsweise Quadraturist betätigte. Nachdem er sich um 1633 in Neapel niedergelassen hatte, engagierte man ihn für die Ausführung gemalter Architektur in Gemälden und Ausstattungsprogrammen. Er arbeitete in der Kartause von San Martino und an einer wichtigen Gruppe von vier Gemälden mit Szenen aus dem antiken Rom, die auf Gargiulos um 1638 erschienenen Kupferstichen mit Figuren basierten und die der spanische Vizekönig für den Palast Buen Retiro in Madrid in Auftrag gegeben hatte. Codazzi widmete sich der Weiterentwicklung des Genres fantastischer Architekturdarstellungen und bediente die wachsende Nachfrage nach dekorativer Tafelmalerei für die Ausstattung von Palästen. Als Architekturmaler benötigte er einen Spezialisten, der seine gemalten Kulissen mit Figuren bevölkerte, wofür er sich abermals an Domenico Gargiulo wandte, mit dem ihn eine mehrere Jahre dauernde Zusammenarbeit verband, die sich auch nach seiner 1648 erfolgten Übersiedelung nach Rom fortsetzte. Ihre Arbeitsmethode wurde in Neapel von Codazzis engsten Nachfolgern Ascanio Luciano und Antonio di Michele weitergeführt. Als ein in der Quadraturmalerei ausgebildeter Maler vermochte Codazzi Gebäude zu erfinden und musste sie nicht nach real existierenden Vorbildern beobachten, obgleich es wichtige Ausnahmen gibt, darunter die Ansicht von Poggioreale in Besançon. Doch in der Regel waren seine kunstvollen Paläste Gedankengebäude, Erfindungen, die auf einem immer wieder variierten Formenrepertoire beruhten. Das wichtigste Bildelement ist dabei der von Säulen getragene Portikus, der wie hier entweder eine einzelne Zelle bildet oder eine elaborierte mehrteilige Struktur ergibt und palastartigen Fassaden vorgelagert ist. Wie hier sind diese Architekturen in der Regel nach den Prinzipien dZentralperspektive konstruiert.

Codazzi sticht unter den Architekturmalern insofern hervor, als er sich kaum wiederholte. Zumeist enthält jedes Werk überraschende Details oder neue Zusammenstellungen von Bildelementen. Hier ist es zum Beispiel die Plattform mit Stufen vor dem Portikus mit dem Schlussstein in Form einer auf den Kopf gestellten Pyramide. Ein weiteres ungewöhnliches und die fantastische Natur dieser Architektur verratendes Detail ist das nur ein Gewölbejoch breite zweite Obergeschoß, das sich über einem einstöckigen Gebäudeteil mit Ziegeldach erhebt und bei einem realen Bauwerk wohl kaum anzutreffen wäre. Das untere Geschoß erstreckt sich in den Mittelgrund und bildet eine offene Loggia in der Art einer Serliana, d. h. eines Gewölbes, dessen Bögen mit rechteckigen Öffnungen abwechseln. Das Rundfenster des Portikus und die hellgraue Farbe der Wände sind in Codazzis neapolitanischen Werken wiederholt anzutreffen. Weitere charakteristische Merkmale des Künstlers sind die ausgefallenen Schmiedearbeiten der Geländer und stützende Konsolen unterhalb der Fensteröffnungen.

Die Figuren und die Statuen sind von Gargiulo gemalt, der sie kunstvoll in die von Codazzi geschaffenen Räume platziert hat. Typisch für Gargiulo sind die Gruppe der drei schwarz gekleideten und ins Gespräch vertieften Figuren, der einzelne Mann mit Hut und geschlitzten Ärmeln, die mit einem Kind die Stufen hinaufsteigende Frau, das über die Brüstung blickende Figurenpaar und der mit beiden Händen in eine Richtung weisende Fischer. Die Schiffsszene mit der Galeere und den Segelschiffen sowie die Vegetation und der Himmel sprechen ebenso eher für Gargiulos Handschrift als für die Codazzis.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

09.11.2022 - 17:00

Schätzwert:
EUR 30.000,- bis EUR 40.000,-

Viviano Codazzi und Domenico Gargiulo, gen. Micco Spadaro


(Bergamo 1604–1670 Rom) und (Neapel 1609/10 – ?1675)
Vornehme Figuren auf der Terrasse eines Palastes nahe eines Hafens,
Öl auf Leinwand, 102,5 x 130,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Frankreich;
Kunsthandel, Frankreich;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Wir danken David R. Marshall, der die Zuschreibung auf Grundlage von Fotografien vorgeschlagen hat, für seine Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Lots.

Diese Hafenszene Viviano Codazzis datiert in seine frühe künstlerische Tätigkeit in Neapel und wurde höchstwahrscheinlich vor seinem 1648 erfolgten Aufbruch nach Rom ausgeführt. Das Gemälde entstand vermutlich in den späten 1640er-Jahren. Vergleichbare signierte und in die 1640er- und 1650er-Jahre datierbare Werke finden sich bei David R. Marshall (Viviano and Niccolò Codazzi, Mailand, 1993, S. 94–143).

Viviano Codazzis Interesse an Architektur und sein auf die Linearperspektive gelegtes Augenmerk rühren vermutlich aus der Frühzeit des Künstlers, als er sich als Architekturmaler beziehungsweise Quadraturist betätigte. Nachdem er sich um 1633 in Neapel niedergelassen hatte, engagierte man ihn für die Ausführung gemalter Architektur in Gemälden und Ausstattungsprogrammen. Er arbeitete in der Kartause von San Martino und an einer wichtigen Gruppe von vier Gemälden mit Szenen aus dem antiken Rom, die auf Gargiulos um 1638 erschienenen Kupferstichen mit Figuren basierten und die der spanische Vizekönig für den Palast Buen Retiro in Madrid in Auftrag gegeben hatte. Codazzi widmete sich der Weiterentwicklung des Genres fantastischer Architekturdarstellungen und bediente die wachsende Nachfrage nach dekorativer Tafelmalerei für die Ausstattung von Palästen. Als Architekturmaler benötigte er einen Spezialisten, der seine gemalten Kulissen mit Figuren bevölkerte, wofür er sich abermals an Domenico Gargiulo wandte, mit dem ihn eine mehrere Jahre dauernde Zusammenarbeit verband, die sich auch nach seiner 1648 erfolgten Übersiedelung nach Rom fortsetzte. Ihre Arbeitsmethode wurde in Neapel von Codazzis engsten Nachfolgern Ascanio Luciano und Antonio di Michele weitergeführt. Als ein in der Quadraturmalerei ausgebildeter Maler vermochte Codazzi Gebäude zu erfinden und musste sie nicht nach real existierenden Vorbildern beobachten, obgleich es wichtige Ausnahmen gibt, darunter die Ansicht von Poggioreale in Besançon. Doch in der Regel waren seine kunstvollen Paläste Gedankengebäude, Erfindungen, die auf einem immer wieder variierten Formenrepertoire beruhten. Das wichtigste Bildelement ist dabei der von Säulen getragene Portikus, der wie hier entweder eine einzelne Zelle bildet oder eine elaborierte mehrteilige Struktur ergibt und palastartigen Fassaden vorgelagert ist. Wie hier sind diese Architekturen in der Regel nach den Prinzipien dZentralperspektive konstruiert.

Codazzi sticht unter den Architekturmalern insofern hervor, als er sich kaum wiederholte. Zumeist enthält jedes Werk überraschende Details oder neue Zusammenstellungen von Bildelementen. Hier ist es zum Beispiel die Plattform mit Stufen vor dem Portikus mit dem Schlussstein in Form einer auf den Kopf gestellten Pyramide. Ein weiteres ungewöhnliches und die fantastische Natur dieser Architektur verratendes Detail ist das nur ein Gewölbejoch breite zweite Obergeschoß, das sich über einem einstöckigen Gebäudeteil mit Ziegeldach erhebt und bei einem realen Bauwerk wohl kaum anzutreffen wäre. Das untere Geschoß erstreckt sich in den Mittelgrund und bildet eine offene Loggia in der Art einer Serliana, d. h. eines Gewölbes, dessen Bögen mit rechteckigen Öffnungen abwechseln. Das Rundfenster des Portikus und die hellgraue Farbe der Wände sind in Codazzis neapolitanischen Werken wiederholt anzutreffen. Weitere charakteristische Merkmale des Künstlers sind die ausgefallenen Schmiedearbeiten der Geländer und stützende Konsolen unterhalb der Fensteröffnungen.

Die Figuren und die Statuen sind von Gargiulo gemalt, der sie kunstvoll in die von Codazzi geschaffenen Räume platziert hat. Typisch für Gargiulo sind die Gruppe der drei schwarz gekleideten und ins Gespräch vertieften Figuren, der einzelne Mann mit Hut und geschlitzten Ärmeln, die mit einem Kind die Stufen hinaufsteigende Frau, das über die Brüstung blickende Figurenpaar und der mit beiden Händen in eine Richtung weisende Fischer. Die Schiffsszene mit der Galeere und den Segelschiffen sowie die Vegetation und der Himmel sprechen ebenso eher für Gargiulos Handschrift als für die Codazzis.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 09.11.2022 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 22.10. - 09.11.2022