Lot Nr. 178


Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, genannt "Goethe-Tischbein"


Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, genannt "Goethe-Tischbein" - Meisterzeichnungen und Druckgraphik bis 1900

(Haina 1751-1829 Eutin)
Die Familie des Hospitalbäckers zu Kloster Haina Johann Heinrich Tischbein (1683-1764)
und seiner Ehefrau Susanna Margarethe geb. Hinsing mit ihren künstlerisch tätigen Nachfahren, Vorzeichnung zu einer Druckgraphik für die Lebenserinnerungen des "Goethe-Tischbein", um 1814, Feder in Schwarz auf Papier, 20 x 26 cm, gebräunt, etwas fleckig, Passep., gerahmt, (Sch)

Provenienz:
laut Überlieferung aus dem Nachlass des Künstlers;
Privatsammlung, Deutschland.

Gutachten von Prof. Dr. Hermann Mildenberger (in Kopie) vorhanden.

Im Jahr 1861 wurden von Carl Georg Wilhelm Schiller (1807-1874) als Herausgeber und letztem Bearbeiter die teils apokryph geprägten Memoiren des „Goethe“-Tischbein „Aus meinem Leben“ publiziert. Die nach Tischbeins Vorgaben, Notizen und Gesprächen konzipierten Texte, die keine genuin eigenständige literarische Leistung des Malers darstellen, sollten ergänzend vom Künstler selbst illustriert werden. Hierzu hat sich zeichnerisches Material erhalten. In seinem editorischen Vorbericht vermerkte Carl G. W. Schiller: „Er hatte die Absicht, seine Lebensbeschreibung durch radirte Portraits zu illustrieren. So heißt es in einem Brief vom 3. Januar 1814: „Aus meiner Lebensbeschreibung habe ich auch manches zu geschrieben, und den Großvater und Großmutter in Kupfer radirt. Auch habe ich ein Familiengemälde bekommen, das mein Onkel als Knabe gemalt hat, wo die sieben Sohne und zwei Töchter auf sind, die alle Künstler wurden. Das werde ich suchen auch in Kupfer machen zu lassen, und ist aller Beschreibung vorzuziehen, in dem man sichtlich vor Augen hat, wie die zwei Alten, ihre Kinder zu Fleiß und Künsten unterrichten“ („Aus meinem Leben“, von J. H. Wilhelm Tischbein, Hg. Carl G.W. Schiller, Braunschweig 1861, 2 Bde., Erster Band S. XXXIV).

Die vorliegende Zeichnung dieses vom „Goethe“-Tischbein beschriebenen figurenreichen Tischbein’schen Familienbildes ist in ihrer spezifischen Umrisshaftigkeit als Vorarbeit zu einer Druckgraphik für die Memoiren zu identifzieren. Dies erweist sich auch schlüssig im Vergleich mit ihrer seitenverkehrten Vorlage, eine lavierte Zeichnung exakt derselben Thematik, die sich im Schloss Georgium zu Dessau mit Provenienz Tischbein-Nachlass (über den Künstlesohn Peter Tischbein) befindet (Julie Harksen, Handzeichnungen Wilhlem Tischbein, hg. von der Staatlichen Galerie Dessau 1958, S 3, 14, Tafel 1). Als historische Vorlage dieser lavierten Dessauer Zeichnung wurde wiederum ein Gemälde von der Hand des Onkels und Lehrers des „Goethe“-Tischbein, Johann Heinrich Tischbein der Ältere, vorgeschlagen. Zudem existieren ergänzend weitere Einzelstudien zu den Köpfen der Stammeltern von der Hand des „Goethe“-Tischbein (vgl. Jürgen Hach. Die Familie im Werk Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins, Kiel 2011 (Privatdruck), S. 5 – 9, 27 - 28 (hier auch weitere Familienbildnisse entstanden im Kontext von „Aus meinem Leben“). Andreas Andresen schließlich verzeichnet eine Druckgraphik desselben Sujets „in Umrissen und unvollendet“, also wohl einen Probedruck, der unserer Zeichnung offenbar entsprechen könnte (Andreas Andresen, Die Deutschen Maler-Radirer (Peintres-Graveurs) des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Band – Erste Hälfte, Leipzig 1867, S. 28, Nr. 2). Ferner ist bei Andresen unter Nr. 9 zudem eine Szene ganz aus dem Beginn von „Aus meinem Leben“ aufgeführt (Andresen, S. 30, Nr. 9). Hierzu gibt es eine Vorzeichnung im Landesmuseum Oldenburg, die gleichfalls wie die lavierte Dessauer Zeichnung demselben Tischbein – Nachlass (Peter Tischbein) entstammt.

Als historische Vorlagen zur geplanten Illustration seiner unvollendet gebliebenen, doch schließlich 1861 postum edierten Memoiren, dienten dem „Goethe“ – Tischbein ferner zwei Familienbildnisse von der Hand eines anderen Onkels, Anton Tischbein, 1759 gemalt, die er beide druckgraphisch im selben Zeitraum reproduzierte (Hach, S. 6, 8; Andresen, S. 28 – 29, Nr. 3 und 4).

Die vorliegende Zeichnung ist somit nicht nur ein weiterer essenzieller Beleg, dass der „Goethe“ – Tischbein plante, seine Memoiren zu illustrieren. Sie ist ein Indiz, dass dieses Illustrationsprojekt wie bei anderen literarischen Arbeiten („Eselsgeschichte“, „Anakreontische Bilder und Dichtungen“, „Gänsegeschichte“), nie zu einem endgültigen Abschluss gelangte. Für die Biographie und häufig literarisch ausgerichtete Wirksamkeit des „Goethe – Malers“ bedeutet die Zeichnung ein wichtiges Bilddokument.

Wir danken Prof. Dr. Hermann Mildenberger für die Bestätigung der Zuschreibung und die wissenschaftliche Unterstützung.

Expertin: Mag. Astrid-Christina Schierz Mag. Astrid-Christina Schierz
+43-1-515 60-546

astrid.schierz@dorotheum.at

04.04.2023 - 14:29

Schätzwert:
EUR 2.400,- bis EUR 3.000,-
Startpreis:
EUR 2.400,-

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, genannt "Goethe-Tischbein"


(Haina 1751-1829 Eutin)
Die Familie des Hospitalbäckers zu Kloster Haina Johann Heinrich Tischbein (1683-1764)
und seiner Ehefrau Susanna Margarethe geb. Hinsing mit ihren künstlerisch tätigen Nachfahren, Vorzeichnung zu einer Druckgraphik für die Lebenserinnerungen des "Goethe-Tischbein", um 1814, Feder in Schwarz auf Papier, 20 x 26 cm, gebräunt, etwas fleckig, Passep., gerahmt, (Sch)

Provenienz:
laut Überlieferung aus dem Nachlass des Künstlers;
Privatsammlung, Deutschland.

Gutachten von Prof. Dr. Hermann Mildenberger (in Kopie) vorhanden.

Im Jahr 1861 wurden von Carl Georg Wilhelm Schiller (1807-1874) als Herausgeber und letztem Bearbeiter die teils apokryph geprägten Memoiren des „Goethe“-Tischbein „Aus meinem Leben“ publiziert. Die nach Tischbeins Vorgaben, Notizen und Gesprächen konzipierten Texte, die keine genuin eigenständige literarische Leistung des Malers darstellen, sollten ergänzend vom Künstler selbst illustriert werden. Hierzu hat sich zeichnerisches Material erhalten. In seinem editorischen Vorbericht vermerkte Carl G. W. Schiller: „Er hatte die Absicht, seine Lebensbeschreibung durch radirte Portraits zu illustrieren. So heißt es in einem Brief vom 3. Januar 1814: „Aus meiner Lebensbeschreibung habe ich auch manches zu geschrieben, und den Großvater und Großmutter in Kupfer radirt. Auch habe ich ein Familiengemälde bekommen, das mein Onkel als Knabe gemalt hat, wo die sieben Sohne und zwei Töchter auf sind, die alle Künstler wurden. Das werde ich suchen auch in Kupfer machen zu lassen, und ist aller Beschreibung vorzuziehen, in dem man sichtlich vor Augen hat, wie die zwei Alten, ihre Kinder zu Fleiß und Künsten unterrichten“ („Aus meinem Leben“, von J. H. Wilhelm Tischbein, Hg. Carl G.W. Schiller, Braunschweig 1861, 2 Bde., Erster Band S. XXXIV).

Die vorliegende Zeichnung dieses vom „Goethe“-Tischbein beschriebenen figurenreichen Tischbein’schen Familienbildes ist in ihrer spezifischen Umrisshaftigkeit als Vorarbeit zu einer Druckgraphik für die Memoiren zu identifzieren. Dies erweist sich auch schlüssig im Vergleich mit ihrer seitenverkehrten Vorlage, eine lavierte Zeichnung exakt derselben Thematik, die sich im Schloss Georgium zu Dessau mit Provenienz Tischbein-Nachlass (über den Künstlesohn Peter Tischbein) befindet (Julie Harksen, Handzeichnungen Wilhlem Tischbein, hg. von der Staatlichen Galerie Dessau 1958, S 3, 14, Tafel 1). Als historische Vorlage dieser lavierten Dessauer Zeichnung wurde wiederum ein Gemälde von der Hand des Onkels und Lehrers des „Goethe“-Tischbein, Johann Heinrich Tischbein der Ältere, vorgeschlagen. Zudem existieren ergänzend weitere Einzelstudien zu den Köpfen der Stammeltern von der Hand des „Goethe“-Tischbein (vgl. Jürgen Hach. Die Familie im Werk Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins, Kiel 2011 (Privatdruck), S. 5 – 9, 27 - 28 (hier auch weitere Familienbildnisse entstanden im Kontext von „Aus meinem Leben“). Andreas Andresen schließlich verzeichnet eine Druckgraphik desselben Sujets „in Umrissen und unvollendet“, also wohl einen Probedruck, der unserer Zeichnung offenbar entsprechen könnte (Andreas Andresen, Die Deutschen Maler-Radirer (Peintres-Graveurs) des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Band – Erste Hälfte, Leipzig 1867, S. 28, Nr. 2). Ferner ist bei Andresen unter Nr. 9 zudem eine Szene ganz aus dem Beginn von „Aus meinem Leben“ aufgeführt (Andresen, S. 30, Nr. 9). Hierzu gibt es eine Vorzeichnung im Landesmuseum Oldenburg, die gleichfalls wie die lavierte Dessauer Zeichnung demselben Tischbein – Nachlass (Peter Tischbein) entstammt.

Als historische Vorlagen zur geplanten Illustration seiner unvollendet gebliebenen, doch schließlich 1861 postum edierten Memoiren, dienten dem „Goethe“ – Tischbein ferner zwei Familienbildnisse von der Hand eines anderen Onkels, Anton Tischbein, 1759 gemalt, die er beide druckgraphisch im selben Zeitraum reproduzierte (Hach, S. 6, 8; Andresen, S. 28 – 29, Nr. 3 und 4).

Die vorliegende Zeichnung ist somit nicht nur ein weiterer essenzieller Beleg, dass der „Goethe“ – Tischbein plante, seine Memoiren zu illustrieren. Sie ist ein Indiz, dass dieses Illustrationsprojekt wie bei anderen literarischen Arbeiten („Eselsgeschichte“, „Anakreontische Bilder und Dichtungen“, „Gänsegeschichte“), nie zu einem endgültigen Abschluss gelangte. Für die Biographie und häufig literarisch ausgerichtete Wirksamkeit des „Goethe – Malers“ bedeutet die Zeichnung ein wichtiges Bilddokument.

Wir danken Prof. Dr. Hermann Mildenberger für die Bestätigung der Zuschreibung und die wissenschaftliche Unterstützung.

Expertin: Mag. Astrid-Christina Schierz Mag. Astrid-Christina Schierz
+43-1-515 60-546

astrid.schierz@dorotheum.at


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Meisterzeichnungen und Druckgraphik bis 1900
Auktionstyp: Online Auction
Datum: 04.04.2023 - 14:29
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.03. - 04.04.2023