Lot Nr. 217


Emilio Vedova *


(Venedig 1919–2006)
De America - 2, 1976, rückseitig signiert, datiert und betitelt, Acryl, Kohle, Pastell und Papier auf Leinwand, 207 x 203 cm, gerahmt

Das vorliegende Werk ist bei der Fondazione Emilio e Annabianca Vedova, Venedig, registriert. Ein Fotozertifikat liegt bei.

Provenienz:
Auktion, Nuova Brera Arte, Mailand, 21. Mai 1990, Los 156
Sammlung Alberto Grimaldi, Rom (rückseitig Etikett)
Auktion, Franco Semenzato, Venedig, 23. März 2000, Los 190
Galleria Excelsior, Asiago (rückseitig Etikett)
Contini Galleria d’Arte, Venedig (Provenienz-Zertifikat vorhanden)
Privatsammlung, Italien (dort im Jahre 2005 erworben )
Europäische Privatsammlung

Literatur:
G. Celant (Hrsg.), Emilio Vedova, Marsilio, Venedig, 2020, S. 300, Nr. 436, mit Abb.
G. Celant (Hrsg.), Vedova De America, Skira, Mailand 2020, S. 514, Nr. 147 mit Abb.

(...) „Ich würde dir auch gerne erzählen... von meiner Wanderung durch Amerika = Ostküste-Westküste und umgekehrt..., allein fahrend, abseits der Highways... Südkalifornien und North Carolina, auf dem Pacificway über Felsen und Meer... Das ‚Unbekannte‘, das immer weiter lockt... Wer sagt denn, dass ‚Amerikaner Nomaden sind‘? Wir Europäer sind es auch...“

„Natürlich ist Amerika in mir geblieben“.
Typoskript von Emilio Vedova, Interview für „La Repubblica“, April 1997 (unveröffentlicht)
Archiv der Fondazione Emilio e Annabianca Vedova, Venedig

AMERIKA ENTDECKEN

Die Vereinigten Staaten – ein Land der Gegensätze: Für die einen, ist es die Heimat der Freiheit und ein Ort der individuellen Selbstverwirklichung, an dem der Amerikanische Traum vom generationsübergreifenden Aufstieg verwirklicht werden kann. Für die anderen sind die Vereinigten Staaten seit jeher das Symbol eines entfremdenden Konsumverhaltens, verteufelt insbesondere von einer Elite europäischer Intellektueller, die nach dem Krieg die Verlagerung des künstlerischen Gleichgewichts nach Übersee als kulturellen Affront empfand.

Emilio Vedova reiste zwischen Mitte der 1950er- und Anfang der 1970er-Jahre nach Amerika, um dieses Land der kulturellen, künstlerischen und politischen Widersprüche zu verstehen. Gemeinsam mit seiner Frau besuchte er die unterschiedlichen Regionen, von Massachusetts bis Florida, von New York bis Kalifornien und hielt Dutzende Vorlesungen an einigen der renommiertesten Universitäten wie dem Smith College, der Universität von Wisconsin und der Cooper Union in New York.
Vedovas Amerikareise war eine anarchische Tour, ohne vorbestimmte Route. Aus dieser minutiösen Erkundung – in engem Austausch mit Künstlern und Intellektuellen – entstand eine Reihe von Werken, denen eine zentrale Rolle in der Poetik des venezianischen Künstlers zukommt: Ein Zyklus, der eine neue bildnerische Phase anstoßen und mit den gewonnenen Impulsen und ihrer regenerierenden Kraft die Transformation zu Vedovas späterer Reife einleiten sollte.

De America, 1976–1977, innerhalb dessen „De America No. 2“ eine der bedeutendsten „Ikonen“ darstellt, besteht aus großformatigen Leinwänden. Die nur zweijährige Entstehungszeit des Zyklus fällt historisch in eine Periode gewalttätiger Konflikte auf internationaler Ebene: in Italien (die „Anni di piombo“), in Europa, vor allem aber in den Vereinigten Staaten, mit der Doppelfront des „Kalten Krieges“ und dem zu Ende gehenden Vietnamkrieg.

Kritisch betrachtet ließen sich diese Werke als anarchisch-konzeptionelle Kartografie der forma urbis der amerikanischen Metropole lesen – eine entfernte Erinnerung an Mondrians Amerika der frühen 1940er-Jahre. Während der Vater des Neoplastizismus die New Yorker Serie auf dem Hintergrund einer glücklichen und regenerativen Beziehung mit der Polis heraus schuf, wird bei Vedova das formlose urbane Gefüge beinahe zu einem „objektiven Korrelat“ der soziokulturellen Dynamik eines Landes, das sich immer tiefer in Widersprüche verstrickt: entzündet und verwundet durch politische, ethnische und soziale Auseinandersetzungen.
In „De America No. 2“ macht sich Vedova die Logik der Auflösung mit noch radikalerer Vehemenz zu eigen: Er lässt ein Gewebe entstehen, das von gewaltsamen Hintergründen bestimmt und von Narben unterbrochen ist und an den gestischen Duktus der Meister des abstrakten Expressionismus erinnert – von Franz Kline bis Willem de Kooning. Diese Annäherung an die amerikanische Schule scheint sich in einem weiteren Aspekt des Werkes widerzuspiegeln: in der gewaltigen Dimension der Arbeit, die in der europäischen informellen Kunst sehr selten ist.

Vedova zeigt sich also offen für Begegnungen und Einflüsse. Gleichzeitig bewahrt er eine subtile Distanz, die sich, wie der Künstler selbst bekräftigt, in einer anderen Art der Raumauffassung ausdrückt: Der horror vacui lauert in jedem Quadratzentimeter der Leinwand und nährt ständig ein Gefühl der Bedrückung, des Tragischen, des Schwindels, das keine erlösende oder eschatologische Perspektive zu bieten scheint.

Experte: Alessandro Rizzi Alessandro Rizzi
+39-02-303 52 41

alessandro.rizzi@dorotheum.it

23.05.2024 - 18:00

Schätzwert:
EUR 170.000,- bis EUR 250.000,-

Emilio Vedova *


(Venedig 1919–2006)
De America - 2, 1976, rückseitig signiert, datiert und betitelt, Acryl, Kohle, Pastell und Papier auf Leinwand, 207 x 203 cm, gerahmt

Das vorliegende Werk ist bei der Fondazione Emilio e Annabianca Vedova, Venedig, registriert. Ein Fotozertifikat liegt bei.

Provenienz:
Auktion, Nuova Brera Arte, Mailand, 21. Mai 1990, Los 156
Sammlung Alberto Grimaldi, Rom (rückseitig Etikett)
Auktion, Franco Semenzato, Venedig, 23. März 2000, Los 190
Galleria Excelsior, Asiago (rückseitig Etikett)
Contini Galleria d’Arte, Venedig (Provenienz-Zertifikat vorhanden)
Privatsammlung, Italien (dort im Jahre 2005 erworben )
Europäische Privatsammlung

Literatur:
G. Celant (Hrsg.), Emilio Vedova, Marsilio, Venedig, 2020, S. 300, Nr. 436, mit Abb.
G. Celant (Hrsg.), Vedova De America, Skira, Mailand 2020, S. 514, Nr. 147 mit Abb.

(...) „Ich würde dir auch gerne erzählen... von meiner Wanderung durch Amerika = Ostküste-Westküste und umgekehrt..., allein fahrend, abseits der Highways... Südkalifornien und North Carolina, auf dem Pacificway über Felsen und Meer... Das ‚Unbekannte‘, das immer weiter lockt... Wer sagt denn, dass ‚Amerikaner Nomaden sind‘? Wir Europäer sind es auch...“

„Natürlich ist Amerika in mir geblieben“.
Typoskript von Emilio Vedova, Interview für „La Repubblica“, April 1997 (unveröffentlicht)
Archiv der Fondazione Emilio e Annabianca Vedova, Venedig

AMERIKA ENTDECKEN

Die Vereinigten Staaten – ein Land der Gegensätze: Für die einen, ist es die Heimat der Freiheit und ein Ort der individuellen Selbstverwirklichung, an dem der Amerikanische Traum vom generationsübergreifenden Aufstieg verwirklicht werden kann. Für die anderen sind die Vereinigten Staaten seit jeher das Symbol eines entfremdenden Konsumverhaltens, verteufelt insbesondere von einer Elite europäischer Intellektueller, die nach dem Krieg die Verlagerung des künstlerischen Gleichgewichts nach Übersee als kulturellen Affront empfand.

Emilio Vedova reiste zwischen Mitte der 1950er- und Anfang der 1970er-Jahre nach Amerika, um dieses Land der kulturellen, künstlerischen und politischen Widersprüche zu verstehen. Gemeinsam mit seiner Frau besuchte er die unterschiedlichen Regionen, von Massachusetts bis Florida, von New York bis Kalifornien und hielt Dutzende Vorlesungen an einigen der renommiertesten Universitäten wie dem Smith College, der Universität von Wisconsin und der Cooper Union in New York.
Vedovas Amerikareise war eine anarchische Tour, ohne vorbestimmte Route. Aus dieser minutiösen Erkundung – in engem Austausch mit Künstlern und Intellektuellen – entstand eine Reihe von Werken, denen eine zentrale Rolle in der Poetik des venezianischen Künstlers zukommt: Ein Zyklus, der eine neue bildnerische Phase anstoßen und mit den gewonnenen Impulsen und ihrer regenerierenden Kraft die Transformation zu Vedovas späterer Reife einleiten sollte.

De America, 1976–1977, innerhalb dessen „De America No. 2“ eine der bedeutendsten „Ikonen“ darstellt, besteht aus großformatigen Leinwänden. Die nur zweijährige Entstehungszeit des Zyklus fällt historisch in eine Periode gewalttätiger Konflikte auf internationaler Ebene: in Italien (die „Anni di piombo“), in Europa, vor allem aber in den Vereinigten Staaten, mit der Doppelfront des „Kalten Krieges“ und dem zu Ende gehenden Vietnamkrieg.

Kritisch betrachtet ließen sich diese Werke als anarchisch-konzeptionelle Kartografie der forma urbis der amerikanischen Metropole lesen – eine entfernte Erinnerung an Mondrians Amerika der frühen 1940er-Jahre. Während der Vater des Neoplastizismus die New Yorker Serie auf dem Hintergrund einer glücklichen und regenerativen Beziehung mit der Polis heraus schuf, wird bei Vedova das formlose urbane Gefüge beinahe zu einem „objektiven Korrelat“ der soziokulturellen Dynamik eines Landes, das sich immer tiefer in Widersprüche verstrickt: entzündet und verwundet durch politische, ethnische und soziale Auseinandersetzungen.
In „De America No. 2“ macht sich Vedova die Logik der Auflösung mit noch radikalerer Vehemenz zu eigen: Er lässt ein Gewebe entstehen, das von gewaltsamen Hintergründen bestimmt und von Narben unterbrochen ist und an den gestischen Duktus der Meister des abstrakten Expressionismus erinnert – von Franz Kline bis Willem de Kooning. Diese Annäherung an die amerikanische Schule scheint sich in einem weiteren Aspekt des Werkes widerzuspiegeln: in der gewaltigen Dimension der Arbeit, die in der europäischen informellen Kunst sehr selten ist.

Vedova zeigt sich also offen für Begegnungen und Einflüsse. Gleichzeitig bewahrt er eine subtile Distanz, die sich, wie der Künstler selbst bekräftigt, in einer anderen Art der Raumauffassung ausdrückt: Der horror vacui lauert in jedem Quadratzentimeter der Leinwand und nährt ständig ein Gefühl der Bedrückung, des Tragischen, des Schwindels, das keine erlösende oder eschatologische Perspektive zu bieten scheint.

Experte: Alessandro Rizzi Alessandro Rizzi
+39-02-303 52 41

alessandro.rizzi@dorotheum.it


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Zeitgenössische Kunst I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 23.05.2024 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 11.05. - 23.05.2024