Lot No. 126


Wittgenstein,  [Cultural Heritage]


This work is under cultural protection and an export from Austria will presumbly not be allowed.

Ludwig, Philosoph, 1889 - 1951. E. B. m. U. (Ludwig), Cambridge, 9. 10. 1947, 6 S., bläuliches Papier, gedr. Briefkopf (Wappen und Spruchband: Trinity Coll. Camb.), minimal fleckig, leicht knittrig, kl. Randschäden, kl.-8vo.

An Arvid Sjögren (1901 - 1971), den Mann von Wittgensteins Nichte Clara Salzer (1913 - 1978), die Tochter seiner Schwester Helene Salzer, geb. Wittgenstein (1879 - 1956). Den Philosophen verband mit dem zwölf Jahre jüngeren Sjögren ein besonders enges Verhältnis, wie auch vorliegender Brief mit beachtlichen Ausführungen zu religösen Grundfragen erweist: "Noch möchte ich Dir über eine Sache schreiben, die die Gretl (Margarethe Stonborough-Wittgenstein, Schwester des Philosophen, Anm.) in einem Gespräch mit mir erwähnt hat. Sie erzählte mir nämlich von dem Satz von Kügelgen, den "armen Sünder" betreffend, den Du Deiner Frau zitiert hast. Als Gretl mir davon sagte, da hatte ich das Gefühl ich würde gerne mit Dir über diese Sache reden und nun will ich Dir etwas darüber schreiben, was vielleicht gänzlich überflüssig ist. - Es gibt, so seltsam das vielleicht klingt, etwas was man religiöses Wissen oder Verständnis nennen kann, und wovon man viel besitzen kann, ohne doch viel Religion zu besitzen, die ja eine Art des Lebens ist. Mancher der anfängt, bis zu einem gewissen Grade religiös zu werden, fängt mit so einem Verständnis an: die religösen Begriffe, Ausdrücke fangen an ihm etwas zu sagen. - Mancher aber kommt zur Religion von einer anderen Seite. Er wird z. B. erst mehr und mehr hilfreich, uneigennützig einsichtig etc. und am Ende fangen auch die religiösen Worte an ihm etwas zu sagen. - Ich meine: Der Eine kommt zur Religion beinahe durch eine Art von Philosophie, der Andere auf einem Weg, der ihn nicht einmal in die Nähe einer Philosophie führt. Als also Gretl mir von Dir erzählte, da dachte ich mir: Deine Frau ist doch (bei allem Verstand) nicht denkerisch veranlagt, und so ist es also nur recht, wenn sie Worte nicht versteht, zu denen sie ein ganz anderer Weg führen müßte (wenn es ihr nämlich überhaupt beschieden ist, zu diesem Punkt zu gelangen.) - Ich selbst bin, so wie Du, ein Denker. Der mir natürliche Weg, der übrigens bei mir verflucht wenig weit geführt hat, führt durchs Denken. Aber das ist doch nicht etwa der bessere Weg! Eher könnte man ihn den Weg von außenherum nennen. Deiner Frau ihren wird, wenn es ihn gibt, vielleicht durch einen immer größeren Ernst führen. Und ihr auf dem weiterzuhelfen – wenn Einer das kann – scheint mir mehr Sinn zu haben, als ihr das Ziel auf einem Weg zu weisen, den sie nicht gehen kann und auch gar nicht zu gehen braucht. Wenn das alles Stiefel oder nicht zur Sache ist, wie ich beinahe glaube, so bitte vergiß es!! Grüß Deine Frau und Mutter. Dein Ludwig“.

Specialist: Mag. Andreas Löbbecke Mag. Andreas Löbbecke
+43-1-515 60-389

books@dorotheum.at

23.06.2023 - 15:42

Realized price: **
EUR 11,000.-
Starting bid:
EUR 6,000.-

Wittgenstein,  [Cultural Heritage]


This work is under cultural protection and an export from Austria will presumbly not be allowed.

Ludwig, Philosoph, 1889 - 1951. E. B. m. U. (Ludwig), Cambridge, 9. 10. 1947, 6 S., bläuliches Papier, gedr. Briefkopf (Wappen und Spruchband: Trinity Coll. Camb.), minimal fleckig, leicht knittrig, kl. Randschäden, kl.-8vo.

An Arvid Sjögren (1901 - 1971), den Mann von Wittgensteins Nichte Clara Salzer (1913 - 1978), die Tochter seiner Schwester Helene Salzer, geb. Wittgenstein (1879 - 1956). Den Philosophen verband mit dem zwölf Jahre jüngeren Sjögren ein besonders enges Verhältnis, wie auch vorliegender Brief mit beachtlichen Ausführungen zu religösen Grundfragen erweist: "Noch möchte ich Dir über eine Sache schreiben, die die Gretl (Margarethe Stonborough-Wittgenstein, Schwester des Philosophen, Anm.) in einem Gespräch mit mir erwähnt hat. Sie erzählte mir nämlich von dem Satz von Kügelgen, den "armen Sünder" betreffend, den Du Deiner Frau zitiert hast. Als Gretl mir davon sagte, da hatte ich das Gefühl ich würde gerne mit Dir über diese Sache reden und nun will ich Dir etwas darüber schreiben, was vielleicht gänzlich überflüssig ist. - Es gibt, so seltsam das vielleicht klingt, etwas was man religiöses Wissen oder Verständnis nennen kann, und wovon man viel besitzen kann, ohne doch viel Religion zu besitzen, die ja eine Art des Lebens ist. Mancher der anfängt, bis zu einem gewissen Grade religiös zu werden, fängt mit so einem Verständnis an: die religösen Begriffe, Ausdrücke fangen an ihm etwas zu sagen. - Mancher aber kommt zur Religion von einer anderen Seite. Er wird z. B. erst mehr und mehr hilfreich, uneigennützig einsichtig etc. und am Ende fangen auch die religiösen Worte an ihm etwas zu sagen. - Ich meine: Der Eine kommt zur Religion beinahe durch eine Art von Philosophie, der Andere auf einem Weg, der ihn nicht einmal in die Nähe einer Philosophie führt. Als also Gretl mir von Dir erzählte, da dachte ich mir: Deine Frau ist doch (bei allem Verstand) nicht denkerisch veranlagt, und so ist es also nur recht, wenn sie Worte nicht versteht, zu denen sie ein ganz anderer Weg führen müßte (wenn es ihr nämlich überhaupt beschieden ist, zu diesem Punkt zu gelangen.) - Ich selbst bin, so wie Du, ein Denker. Der mir natürliche Weg, der übrigens bei mir verflucht wenig weit geführt hat, führt durchs Denken. Aber das ist doch nicht etwa der bessere Weg! Eher könnte man ihn den Weg von außenherum nennen. Deiner Frau ihren wird, wenn es ihn gibt, vielleicht durch einen immer größeren Ernst führen. Und ihr auf dem weiterzuhelfen – wenn Einer das kann – scheint mir mehr Sinn zu haben, als ihr das Ziel auf einem Weg zu weisen, den sie nicht gehen kann und auch gar nicht zu gehen braucht. Wenn das alles Stiefel oder nicht zur Sache ist, wie ich beinahe glaube, so bitte vergiß es!! Grüß Deine Frau und Mutter. Dein Ludwig“.

Specialist: Mag. Andreas Löbbecke Mag. Andreas Löbbecke
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Buyers hotline Mon.-Fri.: 10.00am - 5.00pm
stamps@dorotheum.at

+43 1 515 60 323
Auction: Autographs, manuscripts, documents
Auction type: Online auction
Date: 23.06.2023 - 15:42
Location: 19.06. - 23.06.2023
Exhibition: 19.06. - 23.06.2023


** Purchase price excl. buyer's premium and VAT

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